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Titelthema
„Die Politik muss nachsteuern“
INTERVIEW Für Claudia Kilian brauchen die BBZen mehr Personal verschiedener Berufe
Die beruflichen Schulen im Saar- Was muss unternommen Bundesländer, weil diese früher
land stehen vor riesigen Heraus- werden, um den Bedarf zu einstellen oder besser bezahlen.
forderungen. Es fehlt an Lehrper- decken? Da bleiben dann nicht mehr viele
sonal in den beruflichen fachrich- Perspektivisch fehlt es an Lehr- Lehrkräfte für unsere BBZen übrig.
tungen sowie in den allgemeinbil- kräften in beruflichen Fachrichtun-
denden Fächern. Claudia Kilian, gen wie Technik, Informatik, Ge- Die zunehmende Digitalisierung
die stellvertretende Vorsitzende sundheit, Sozialpädagogik sowie verändert nicht nur die Arbeits-
der GEW Saarland erklärt, was da- Ernährung und Hauswirtschaft. welt, sondern sie beeinflusst
gegen getan werden kann – und Aber auch in allgemeinbildenden auch die Arbeit an den Berufsbil-
sie erläutert den Stand der Dinge Fächern wie Deutsch und Englisch dungszentren. Sind diese hierfür
in Sachen Digitalisierung. Die Fra- gibt es strukturellen Unterrichts- ausreichend gerüstet? Wie sieht
gen stellte Roman Lutz. ausfall. Das bedeutet, dass weni- es dabei mit der IT-Infrastruktur, Claudia
ger Unterricht erteilt wird, als laut dem benötigten Support und der Kilian
Frau Kilian, Sie sind gerade aus Stundentafel vorgesehen ist – und notwendigen Fortbildung der ist Lehrerin
der Elternzeit zurückgekehrt. Wie das ganz unabhängig von kurzfris- Lehrkräfte aus? und
erleben Sie den Schulalltag seit tigen Ausfällen, beispielsweise Auch wenn in Sachen Digitalisie- Personalrätin
Ihrer Rückkehr? Welches sind durch Krankheit. rung einiges getan wurde, gibt es an einer
aktuell die größten Herausforde- Der Lehrberuf hat ein Imageprob- leider noch Schülerinnen und beruflichen
rung beziehungsweise Probleme, lem – nicht erst seit der Pandemie. Schüler an saarländischen BBZen, Schule sowie
vor denen die beruflichen Hinzu kommt, dass nur wenige die keine digitalen Endgeräte ha- stellvertre-
Schulen im Saarland stehen? Lehramtsinteressierte die berufli- ben und nicht in jedem Klassen- tende
Macht Ihnen ihre tägliche Arbeit chen Schulen auf dem Schirm ha- zimmer gehören ein Beamer und Landesvorsit-
trotz der Herausforderungen, die ben. Die meisten Abiturientinnen ein PC zur Grundausstattung. Für zende der
das Lehramt dort mit sich bringt, und Abiturienten haben selbst ein manche hat sich seit vor der Pan- Gewerkschaft
noch Freude? Gymnasium besucht. Das kennen demie also nichts geändert, wäh- Erziehung
Seit meiner Rückkehr unterrichte sie und dorthin möchten sie wie- rend andere beinahe papierlos ar- und Wissen-
ich hauptsächlich Englisch im der zurück. Zudem fühlt man sich beiten. Wir dürfen nicht verpassen, schaft (GEW)
Übergangssystem. Überrascht als „Exotin oder Exot“, wenn man die Fachkräfte von morgen zu sou- Saarland.
war ich über die kleine Zahl der an der Universität des Saarlandes veränen Anwendern zu machen,
Schülerinnen und Schüler, die (UdS) das Lehramt an beruflichen denn sie werden die Transforma-
nach der Berufsfachschule I in die Schulen studieren möchte und er- tion im Saarland gestalten.
Oberstufe versetzt werden oder fährt möglicherweise nicht die- Die Fortbildungsangebote für
einen Ausbildungsberuf gefunden selbe Unterstützung wie andere Lehrkräfte im Saarland werden gut
haben. Viele Schüler müssen die Lehramtsstudierende. Die GEW angenommen, befassen sich al-
Klassenstufe wiederholen oder fordert daher, dass eine Professur lerdings meist mit generellen Fra-
die Schule ohne Ziel verlassen. für Berufspädagogik an der UdS gen. Spezifische Fortbildungen für
Das Übergangssystem ist eine eingerichtet wird. Zudem würden Lehrkräfte an beruflichen Schulen
Schulform, die für die Erwerbsbio- wir es begrüßen, wenn man Inklu- gibt es kaum. Meist bilden sich in-
grafie von Schülerinnen entschei- sion oder Deutsch als Zweit- oder teressierte Lehrkräfte an den
dend ist. Hier benötigen wir die Fremdsprache im Zweitfach stu- BBZen gegenseitig fort – zusätz-
meisten Ressourcen und qualifi- dieren könnte, denn auch an die- lich zum regulären Unterricht. Um
ziertes Personal unterschiedlicher sen Fachkräften mangelt es an digitale Unterrichtskonzepte an
Berufe. Da muss die Politik noch unseren Berufsbildungszentren. beruflichen Schulen zu entwi-
nachsteuern, denn abgesehen Nach dem Studium gehen die Ab- ckeln, brauchen Kolleginnen auch
vom individuellen Schicksal jedes solventen dann in benachbarte Entlastung bei anderen Aufgaben.
und jeder Jugendlichen, können
wir es uns in Zeiten des Fachkräf-
temangels nicht leisten, Potenziale
unerkannt zu lassen. Nichtsdesto-
trotz kann ich mir keinen erfüllen-
deren Beruf vorstellen – auch
wenn die Rahmenbedingungen
noch zu wünschen übrig lassen.
Noch immer
Die GEW hat vor kurzem in einer haben längst
Pressemitteilung den akuten Foto: Adobe Stock/contrastwerkstatt nicht alle
Lehrkräftemangel an beruflichen Schülerinnen
Schulen beklagt. In welchen und Schüler
Fächern fehlen die Lehrkräfte? an den BBZen
Welche Konsequenzen hat der digitale
akute Mangel an den Schulen? Endgeräte.
AK-Konkret 4|22 · 11