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Titelthema
Die Ungleichheit setzt sich
an den Hochschulen fort
BAFÖG Bisherige Reformbeschlüsse bleiben hinter den Erwartungen zurück
Während 79 Prozent der Kinder schulischen Leistungsanforde- Erhöhung von 5,75 Prozent wer- 1 Vom Arbei-
aus Akademikerfamilien später rungen überschätzt. den es jedoch nur 452 Euro – terkind zum
ein Studium aufnehmen, sind es Gleiches gilt für die wahrge- noch nicht einmal genug zum Doktor |
bei den Kindern aus Arbeiterfa- nommenen Kosten. Hier soll ge- Ausgleich der Inflation. Die un- Stifterverband
milien gerade einmal 27 Prozent. rade das Bundesausbildungs- gleiche Studienteilhabe junger 2 PaFo-
Die Gründe dafür sind vielfältig. förderungsgesetz (BAföG) Chan- Menschen aus wirtschaftlich 2022-Armut_
Das BAföG erreicht die untere cengleichheit sichern – ein An- schwächeren Elternhäusern von_Studie-
Mittelschicht kaum noch. Kinder spruch, der aber schon lange liegt aber nicht nur am Geld. Ein renden.pdf
aus Nichtakademikerfamilien nicht mehr eingelöst wird. Ob- aktueller Forschungsüberblick (der-paritaeti-
benötigen vor allem aber mehr wohl die Studierendenzahlen zum BAföG benennt als weitere sche.de)
und gezieltere Informationen. massiv gestiegen sind, ist die Gründe komplexe Antragsver- 3 https://www.
Zahl der Geförderten seit vielen fahren, die Unsicherheit über dzhw.eu/pdf/
Von Sabine Ohnesorg Jahren rückläufig. Die untere den Zeitpunkt einer möglichen pub_brief/
Mittelschicht wird kaum mehr Bewilligung oder eine größere dzhw_brief
Immer noch nehmen Kinder aus erreicht. Bundesweit erhielten Sorge vor Verschuldung. _02_2022.pdf
Familien ohne akademische Tra- 2020 lediglich elf Prozent, im Vor allem aber scheinen Stu- 4 WZBriefBil-
dition deutlich seltener ein Stu- Saarland sogar nur noch knapp dieninteressierte aus Nichtaka- dung452022_
dium auf als Kinder aus akade- neun Prozent aller Studierenden demikerfamilien mehr und ge- erdmann_hel-
misch gebildeten Elternhäusern. das staatliche Darlehen. Um hier zieltere Informationen zu benöti- big_jacob_pe-
Zwar fangen die eigentlichen eine Trendwende zu erreichen, gen. Das unterstreicht eine wei- trzyk_schnei-
3
Probleme schon früher im will die Bundesregierung das tere neue Studie: Mit intensiven der_allmen-
Schulsystem an. Danach wird BAföG finanziell stärken und und langfristig angelegten Be- dinger.pdf
die soziale Auslese jedoch nicht strukturell reformieren. ratungsprogrammen wie dem
geringer: Statistisch gesehen Die bisherigen Beschlüsse „NRW-Talentscouting“ gelingt
schreiben sich von 100 Grund- bleiben aber hinter den Erwar- es, mehr junge Menschen ohne
schülern aus Arbeiterfamilien tungen zurück. Zwar wird der akademischen Hintergrund an
später nur 27 an einer Hoch- Kreis der Berechtigten ausge- die Hochschulen zu bringen.
schule ein, bei den Akademiker- weitet. Nach jahrelangen Null- Umgekehrt nehmen Studienbe-
kindern sind es dagegen 79. runden gibt es auch mehr Geld. rechtigte aus Akademikerfami-
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In der Folge machen Arbeiter- Das reicht aber bei weitem nicht lien nach diesen Programmen
kinder nur noch knapp die Hälfte aus. Denn ein Drittel aller Studie- häufiger eine Ausbildung auf. Im
aller Studierenden aus, wäh- renden lebt in Armut. Unter den Ergebnis verringert sich nicht
rend ihr Anteil an den Schulen BAföG-Beziehern ist es sogar nur soziale Ungleichheit, auch
bei 71 Prozent liegt. Bis zum Ba- fast die Hälfte. Das Deutsche die Passung zwischen Potenzia-
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chelorabschluss schaffen es Studentenwerk hat ermitteln len und Bildungsentscheidun-
dann im Schnitt 20 von anfäng- lassen, dass der BAföG-Grund- gen wird verbessert. 4
lich 100 Grundschülern aus bedarf schon 2019 bei mindes-
Nichtakademikerfamilien, einen tens 500 Euro monatlich hätte Sabine Ohnesorg leitet das Referat
Mastertitel erwerben noch elf liegen müssen. Selbst nach der Wissenschaft und Hochschulen.
und eine Promotion schließlich
noch zwei von 100. Ganz anders Studierende und nach BAföG geförderte Studierende
ist die Lage bei Akademikerkin-
dern: Hier beträgt das Verhältnis im Saarland 2000 bis 2020
beim Bachelorabschluss im 35.000 22,5 %
Schnitt 64:100, beim Master 30.000 20,0 %
43:100 und bei der Promotion 25.000 17,5 %
6:100. Nun muss nicht jeder stu- 20.000 15,0 %
dieren oder gar promovieren. 12,5 %
Wer dafür jedoch Potenzial, Nei- 15.000 10,0 %
gungen oder Interessen zeigt, 10.000 7,5 %
5,0 %
sollte auch die Chancen haben 5.000 2,5 %
– unabhängig von der sozialen 0 0,0 %
Herkunft. Die Hürden aber sind 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
vielfältig. Bei Arbeiterkindern Studierende insgesamt* (Anzahl) Gefördertenquote in %
spielen etwa häufig fehlende Studierende mit deutscher Staatsangehörigkeit* (Anzahl) (Basis: Studierende mit deutscher Staatsangehörigkeit)
Gefördertenquote in % (Basis: Studierende insgesamt)
Anzahl geförderter Studierender (durchschnittl. Monatsbestand)
Rollenvorbilder und Erfahrungs- * jeweils zum Wintersemester
werte im sozialen Umfeld eine Quelle: Statistisches Bundesamt, Genesis-Datenbank, eigene Berechnungen Grafik: Arbeitskammer
Rolle. Oft werden die hoch-
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