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Titelthema
Soziale Schieflage ausgleichen
CHANCENGLEICHHEIT Noch immer spielt die soziale Herkunft eine große Rolle
Ein größer werdender Anteil
saarländischer Schülerinnen und
Schüler verlässt die hiesigen
allgemeinbildenden Schulen
ohne Abschluss. Besonders groß
sind die Lernrückstände an
Schulen in sozial herausfordern- Aus Sicht der
den Lagen. Ein schulscharfer AK ist eine
Sozialindex könnte helfen, die bedarfsge-
ungleichen Voraussetzungen rechte
abzufedern. Investi-
tion für
Von Matthias Kremp Foto: Pasquale D‘Angiolillo allgemein-
bildende
Trotz zahlreicher Projekte und Pro- Schulen
gramme ist ein signifikantes Auf- unerlässlich.
brechen des starken Zusammen-
hangs von sozialer Herkunft und reits nicht zum Besten bestellt nur schlicht mehr Ressourcen. Zu-
Bildungserfolg nicht wirklich er- war. Erste Ergebnisse zum IQB- gleich ist eine Grundlage für eine
kennbar. Einem konstant hohen, Bildungstrend 2021 im Primarbe- bedarfsgerechtere Verteilung der
mitunter wachsenden Teil der reich bestätigen, dass nicht nur stets begrenzten Mittel nötig,
Schülerschaft gelingt es nicht, ein weniger Viertklässlerinnen und etwa über einen schulscharfen
Mindestniveau im Erwerb von Ba- Viertklässler in Deutsch und Ma- Sozialindex, mit dem Schulen mit
siskompetenzen und Abschluss- thematik die KMK-Regelstan- besonderen sozialen Herausfor-
zertifikaten sicherzustellen, die für dards erreichen als in den Jahren derungen gezielt unterstützt wer-
die berufliche Integration sowie 2011 und 2016. Besorgniserre- den können. Denn an Schulen, die
die gleichberechtigte Teilhabe in gend ist sowohl der deutlich ge- eher viele Kinder aus schwierigen
unserer Gesellschaft notwendig stiegene Anteil der Kinder, die sozioökonomischen Verhältnissen
sind. selbst die Mindeststandards ver- und mit erhöhtem Förderbedarf
Als sehr problematisch für den fehlen, als auch die damit in Zu- beschulen, bestehen besondere
Übergang in eine vollqualifizie- sammenhang stehende Verstär- fachliche, (sozial-)pädagogische
rende Ausbildung muss im Saar- kung sozialer und zuwanderungs- und organisatorische Erforder-
land ein in den letzten Jahren grö- bezogener Ungleichheiten. Die nisse. An diesen Schulen treten
ßerer Anteil junger Menschen Befunde weiterer Studien auf Ein- nicht nur gehäuft Benachteiligun-
konstatiert werden, der die allge- zelschulebene verdeutlichen, gen Einzelner als primäre Her-
meinbildende Schule ohne Ab- dass die Lernrückstände an Schu- kunftseffekte auf, sondern zusätz-
schluss verlässt: 2011 waren es lich Kompositionseffekte der für
laut Statistik der Kultusminister- Eine bedarfsgerechtere ein anregendes Lernmilieu un-
Konferenz (KMK) 4,8 Prozent Verteilung der Mittel ist nötig günstigen Zusammensetzung
(Bund: 6,1 Prozent), 2020 dagegen von Lerngruppen. Statt stets nur
6,5 Prozent (Bund: 5,9 Prozent), len in sozial herausfordernden La- temporärer Programme, deren
wobei der Anteil im Jahr 2018 mit gen besonders groß sind. Darüber Mittel zudem mit der Gießkanne
7,7 Prozent noch größer war. Zu- hinaus sind soziale Ungleichhei- verteilt werden, brauchen wir für
gleich gibt es noch immer viele ten laut Corona-und-Psyche-Stu- eine systematischere Sicherung
Jugendliche, die am Ende der Se- die (Copsy-Studie) auch in psy- von Mindeststandards bei jungen
kundarstufe I große Schwierigkei- chosozialen Entwicklungsberei- Menschen in Risikolagen langfris-
ten in den Basiskompetenzen auf- chen festzustellen, die weit über tig und mit stärkerem Fokus auf
weisen. Laut Bildungstrend 2018 „Lernlücken“ hinausgehen. deren Lebenslagen angelegte
des Instituts zur Qualitätsentwick- Die Notwendigkeit steigender Förderstrategien. Hierbei kann ein
lung im Bildungswesen (IQB) ver- Investitionen in Bildung ist unbe- schulscharfer Sozialindex ein gu-
fehlten 31,2 Prozent (Bund: 24,3 stritten. Diese erstreckt sich von tes Instrument (neben und mit an-
Prozent) der saarländischen Schü- Sanierungs- und Investitionsbe- deren) sein, um unter systemati-
lerschaft in Mathematik sogar den darfen bei Gebäuden über Ver- scher Berücksichtigung sehr un-
Mindeststandard für den mittleren waltungs- und IT-Personal zur terschiedlicher Ausgangslagen
Schulabschluss – 2012 waren es dringenden Frage von Lehr- und und Rahmenbedingungen bereits
noch 28,2 Prozent. sozialpädagogischen Fachkräften, bei der Ressourcensteuerung
Die Krisensituationen im Zuge wo sich für die Politik absehbar chancenausgleichend wirken zu
der Pandemie sowie der Flucht- mehr Engpässe abzeichnen. können.
und Migrationsbewegungen tref- Wenn wir indes wirksam für mehr
fen auf ein Schulsystem, in dem Chancengleichheit im System Matthias Kremp leitet das Referat
es um die Chancengleichheit be- sorgen wollen, brauchen wir nicht Bildungs- und Kulturpolitik.
AK-Konkret 4|22 · 9