Page 12 - AK-Konkret: 4 | 2023 | Azubi-Lexikon
P. 12

Titelthema
                           „Frauen und ihre Stimme müssen


                           wahrgenommen werden“



                           INTERVIEW  Wie Betriebsrätinnen ihr Engagement im Gremium erleben

                           In den Mitbestimmunsgremien im Betrieb sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. Stichprobenar-
                           tige Abfragen bei verschiedenen Gewerkschaften im Saarland nach den ihnen bekannten Betriebsräten
                           und deren Besetzung seit 2022 bestätigten ungefähr den aus bundesweiten Befragungen bekannten
                           Anteil von rund 30 Prozent, bei deutlich höherem Anteil in den Dienstleistungbranchen. Männer domi-
                           nieren nach wie vor den Vorsitz über das Mitbestimmungsgremium. Die Ursachen dafür, dass es für
                           Frauen so schwierig ist, die „gläserne Decke“ nach oben zu durchbrechen liegt unter anderem darin,
                           dass noch immer Frauen in erster Linie für Sorge-Arbeiten zuständig sind. Daher bewerben sie sich ge-
                           nerell seltener für Positionen, die (sehr) zeitaufwendig sind. Zudem machen es homosoziale Schlie-
                           ßungsprozesse Frauen schwer, in Top-Positionen zu kommen. Vorangetrieben werden kann die Gleich-
                           stellung in betrieblichen Interessenvertretungen unter anderem dadurch, dass die Gremienarbeit ver-
                           einbarkeitsfreundlich organisiert wird, Frauen in Interessenvertretungen Netzwerke bilden und es mehr
                           weibliche Vorbilder für Frauen gibt. Simone Hien hat Betriebsrätinnen* zu ihrem Engagement im Be-
                           triebsrat und ihrem persönlichen Erleben befragt.

                           Warum engagieren sich Ihrer   ebene, sondern der emotiona-  auch   neudeutsch   „Mental
                           Meinung nach weniger Frauen   len Ebene und bringen somit   Load“– benötigen Zeit. In dieses
                           als Männer in Interessenvertre-  persönliche Dinge ein. Sie kön-  System dann noch ein  Amt in
                           tungen?                       nen auch mal laut werden und   einer  Interessensvertretung
                                                         dies als Mittel zur eigenen Inter-  einbauen,  welches selbst im
                           Betriebsrätin  1:  Weil meiner   essendurchsetzung benutzen.   Status einer Freistellung ein ge-
                           Meinung nach Männer noch im-                               wisses Engagement zusätzlich
                           mer eher „wahrgenommen“       Betriebsrätin 3:             in der Freizeit bedeutet?  Auch
                           werden als Frauen in solchen   Ein ehrenamtliches Engage-  wenn man es sich fachlich und
                           Funktionen.  Viele Frauen sind   ment egal welcher Art setzt im-  persönlich durchaus zutraut, ist
                           zudem teilzeitbeschäftigt, da an   mer voraus, dass zeitliche Res-  diese Hürde oft hoch.
                           ihnen auch heute noch über-   sourcen zur Verfügung stehen.
                           wiegend die Erziehung der Kin-  Frauen  sind  je  nach  Lebens-  Warum engagieren Sie sich im
                           der,  Pflege  von  Angehörigen   phase sehr oft diejenigen in der   Betriebsrat? Fühlen Sie sich
                           ect. hängen bleibt. Da ist dann   Familie, die in Teilzeitmodellen   als Frau benachteiligt?
                           nicht unbedingt noch Zeit, sich   arbeiten.  Und  dies  meist  aus
                           um Gremienarbeit zu kümmern.       dem Grund, dass sie vieles, was   Betriebsrätin 1: Genau aus die-
                                                         es in der Familie zu organisieren   sem Grund! Damit Frauen und
                           Betriebsrätin  2:  Die Vereinbar-  gilt, managen. Ist die Frau schon   ihre Stimme „wahrgenommen“
                           keit  von Familie  und Beruf ist   in einer anderen Lebensphase,   werden, damit auch ihnen die
                           noch immer eine Herausforde-  die Kinder größer, kommt häufig   gebührende Beachtung und
                           rung. Ich selbst zum Beispiel   die Sorgearbeit an den eigenen   Respekt geboten  werden. Ich
                           versuche die Balance zwischen   oder den Schwiegereltern. Kin-  persönlich fühle mich nicht be-
                           35  Stunden  Arbeit  in  der  Wo-  der, Küche und Kalender – oder   nachteiligt. Meine Stimme  war
                           che,  Betriebsratsarbeit,  Ge-                             immer schon präsent, da ich mir
                           werkschaftsarbeit, und dann                                schon immer Respekt eingefor-
                           bin ich ja auch noch Mutter und                            dert  habe  –  aber  das  war/ist
                           Mensch, zu halten. Um das alles                            Männern gegenüber schwieri-
                           unter einen Hut zu bekommen,                               ger als Frauen gegenüber.
                           bedarf es sehr  viel Ruhe und
                           Geduld. Es gibt Tage, an denen                             Betriebsrätin  2:  Ich habe mich
                           ist es sehr turbulent und ich                              schon immer dafür interessiert,
                           habe das Gefühl, dass alles sehr                           mich für andere Menschen ein-
              *Die Betriebs-   chaotisch ist. Und an manchen                          zusetzen, anderen Menschen
               rätinnen sind   Tagen denke ich abends im                              zu  helfen.  Ich wurde  gemobbt,
                  aus den   Bett: „Das  war jetzt richtig gut   Foto: Adobe Stock/pikselstock  weil ich während der Elternzeit
                 Bereichen   heute.“ Außerdem braucht man                             in  Teilzeit ging und habe dann
               Industrie und     ein „dickes Fell“, weil es oft auch                  Unterstützung durch eine Kol-
                   Finanz-   um das Ego geht. Männer ha-                              legin, die auch Betriebsrätin ist,
                wesen. Die   ben eine andere Art zu diskutie-                         erfahren. Unter anderem wegen
              Redaktion hat   ren und Sachverhalte zu bear-  Da  überwiegend  Frauen  Sorge-  meiner Erfahrungen habe ich
              die Interview-   beiten als Frauen. Es gibt ältere   Arbeiten  übernehmen,  bewerben   mir auf die Fahne geschrieben,
                parterinnen   Kollegen im Gremium, die dis-  sie sich seltener für Positionen, die   dass ich gerne eine bessere Zu-
               anonymisiert.  kutieren nicht auf der Sach-  zeitaufwendig sind.       kunft, einen besseren  Arbeits-


            12  ·  AK-Konkret 4|23
   7   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17