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Titelthema
„Frauen und ihre Stimme müssen
wahrgenommen werden“
INTERVIEW Wie Betriebsrätinnen ihr Engagement im Gremium erleben
In den Mitbestimmunsgremien im Betrieb sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. Stichprobenar-
tige Abfragen bei verschiedenen Gewerkschaften im Saarland nach den ihnen bekannten Betriebsräten
und deren Besetzung seit 2022 bestätigten ungefähr den aus bundesweiten Befragungen bekannten
Anteil von rund 30 Prozent, bei deutlich höherem Anteil in den Dienstleistungbranchen. Männer domi-
nieren nach wie vor den Vorsitz über das Mitbestimmungsgremium. Die Ursachen dafür, dass es für
Frauen so schwierig ist, die „gläserne Decke“ nach oben zu durchbrechen liegt unter anderem darin,
dass noch immer Frauen in erster Linie für Sorge-Arbeiten zuständig sind. Daher bewerben sie sich ge-
nerell seltener für Positionen, die (sehr) zeitaufwendig sind. Zudem machen es homosoziale Schlie-
ßungsprozesse Frauen schwer, in Top-Positionen zu kommen. Vorangetrieben werden kann die Gleich-
stellung in betrieblichen Interessenvertretungen unter anderem dadurch, dass die Gremienarbeit ver-
einbarkeitsfreundlich organisiert wird, Frauen in Interessenvertretungen Netzwerke bilden und es mehr
weibliche Vorbilder für Frauen gibt. Simone Hien hat Betriebsrätinnen* zu ihrem Engagement im Be-
triebsrat und ihrem persönlichen Erleben befragt.
Warum engagieren sich Ihrer ebene, sondern der emotiona- auch neudeutsch „Mental
Meinung nach weniger Frauen len Ebene und bringen somit Load“– benötigen Zeit. In dieses
als Männer in Interessenvertre- persönliche Dinge ein. Sie kön- System dann noch ein Amt in
tungen? nen auch mal laut werden und einer Interessensvertretung
dies als Mittel zur eigenen Inter- einbauen, welches selbst im
Betriebsrätin 1: Weil meiner essendurchsetzung benutzen. Status einer Freistellung ein ge-
Meinung nach Männer noch im- wisses Engagement zusätzlich
mer eher „wahrgenommen“ Betriebsrätin 3: in der Freizeit bedeutet? Auch
werden als Frauen in solchen Ein ehrenamtliches Engage- wenn man es sich fachlich und
Funktionen. Viele Frauen sind ment egal welcher Art setzt im- persönlich durchaus zutraut, ist
zudem teilzeitbeschäftigt, da an mer voraus, dass zeitliche Res- diese Hürde oft hoch.
ihnen auch heute noch über- sourcen zur Verfügung stehen.
wiegend die Erziehung der Kin- Frauen sind je nach Lebens- Warum engagieren Sie sich im
der, Pflege von Angehörigen phase sehr oft diejenigen in der Betriebsrat? Fühlen Sie sich
ect. hängen bleibt. Da ist dann Familie, die in Teilzeitmodellen als Frau benachteiligt?
nicht unbedingt noch Zeit, sich arbeiten. Und dies meist aus
um Gremienarbeit zu kümmern. dem Grund, dass sie vieles, was Betriebsrätin 1: Genau aus die-
es in der Familie zu organisieren sem Grund! Damit Frauen und
Betriebsrätin 2: Die Vereinbar- gilt, managen. Ist die Frau schon ihre Stimme „wahrgenommen“
keit von Familie und Beruf ist in einer anderen Lebensphase, werden, damit auch ihnen die
noch immer eine Herausforde- die Kinder größer, kommt häufig gebührende Beachtung und
rung. Ich selbst zum Beispiel die Sorgearbeit an den eigenen Respekt geboten werden. Ich
versuche die Balance zwischen oder den Schwiegereltern. Kin- persönlich fühle mich nicht be-
35 Stunden Arbeit in der Wo- der, Küche und Kalender – oder nachteiligt. Meine Stimme war
che, Betriebsratsarbeit, Ge- immer schon präsent, da ich mir
werkschaftsarbeit, und dann schon immer Respekt eingefor-
bin ich ja auch noch Mutter und dert habe – aber das war/ist
Mensch, zu halten. Um das alles Männern gegenüber schwieri-
unter einen Hut zu bekommen, ger als Frauen gegenüber.
bedarf es sehr viel Ruhe und
Geduld. Es gibt Tage, an denen Betriebsrätin 2: Ich habe mich
ist es sehr turbulent und ich schon immer dafür interessiert,
habe das Gefühl, dass alles sehr mich für andere Menschen ein-
*Die Betriebs- chaotisch ist. Und an manchen zusetzen, anderen Menschen
rätinnen sind Tagen denke ich abends im zu helfen. Ich wurde gemobbt,
aus den Bett: „Das war jetzt richtig gut Foto: Adobe Stock/pikselstock weil ich während der Elternzeit
Bereichen heute.“ Außerdem braucht man in Teilzeit ging und habe dann
Industrie und ein „dickes Fell“, weil es oft auch Unterstützung durch eine Kol-
Finanz- um das Ego geht. Männer ha- legin, die auch Betriebsrätin ist,
wesen. Die ben eine andere Art zu diskutie- erfahren. Unter anderem wegen
Redaktion hat ren und Sachverhalte zu bear- Da überwiegend Frauen Sorge- meiner Erfahrungen habe ich
die Interview- beiten als Frauen. Es gibt ältere Arbeiten übernehmen, bewerben mir auf die Fahne geschrieben,
parterinnen Kollegen im Gremium, die dis- sie sich seltener für Positionen, die dass ich gerne eine bessere Zu-
anonymisiert. kutieren nicht auf der Sach- zeitaufwendig sind. kunft, einen besseren Arbeits-
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