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Titelthema
Migrantinnen brauchen gezielte
Maßnahmen zur Unterstützung
ARBEITSMARKT Migrantinnen als heterogene Gruppe stärker in den Fokus rücken
Nach wie vor sind Migrantinnen Rund 67.500 Frauen ohne deut- Förderung liegt in der beruflichen
auf dem saarländischen sche Staatsangehörigkeit leben im Integration der Frauen. Sie werden
Arbeitsmarkt unterrepräsentiert. Saarland. Dabei gibt es die typi- dazu ermutigt, ihre Fähigkeiten und
Die Gründe dafür reichen von sche migrantische Frau nicht. Mig- Ressourcen weiterzuentwickeln
Vorurteilen und Diskriminierung rantinnen sind eine heterogene und auf eine breite Palette ent-
bis hin zu einer schlechten Gruppe. Darunter sind Geflüchtete sprechender Berufe zuzugreifen.
Infrastruktur bei der Betreuung ebenso wie Zugewanderte aus Im gesellschaftlichen Diskurs wird
von Kindern und der Pflege von EU-Ländern. Sie sind Akademike- Migration oft als rein männliches
Angehörigen. rinnen, Analphabetinnen, Ge- Phänomen dargestellt. Das Fehlen
schäftsführerinnen und Mütter. Der von weiblichen Perspektiven ver-
Von Tarik Saidani Anteil der Ausländerinnen mit aka- stärkt die geschlechtsspezifischen
und Dagmar Ertl demischem Abschluss an den so- Ungleichheiten. Die schwierige
zialversicherungspflichtigen Be- Vereinbarkeit von Familie und Be-
Menschen mit Migrationshinter- schäftigten ist dabei mit 15,4 Pro- ruf ist ein gewichtiges Hindernis,
grund spielen eine immer wichti- zent höher als bei ausländischen besonders im ländlichen Raum. Ein
gere Rolle für den saarländischen Männern (10,5 Prozent) und über- weiterer Aspekt ist das Fehlen von
Arbeitsmarkt. Über 20.000 Frauen steigt auch den Anteil deutscher kultur- und religionssensiblen Pfle-
und knapp 35.000 Männer mit geeinrichtungen. Dieser Umstand
ausländischer Staatsangehörigkeit Migrantinnen haben führt dazu, dass viele Frauen kei-
gingen 2022 einer sozialversiche- schlechtere Chancen nen beruflichen Werdegang in Er-
rungspflichtigen Beschäftigung wägung ziehen, um Familienange-
nach. Die Zahl der beschäftigten Frauen (13,6 Prozent). Dennoch ha- hörige zu pflegen. Oft führt die
Migrantinnen ist seit 2012 um 80 ben Frauen mit Migrationshinter- schwache sozioökonomische
Frauen mit Prozent und die der Migranten um grund im Vergleich zu Migranten Lage der Migrantinnen zu einem
Migrations- 60 Prozent gestiegen. Allerdings und Menschen ohne Migrations- deutlich erschwerten Zugang zu
hintergrund sind Migrantinnen auf dem Arbeits- hintergrund schlechtere Chancen Bildung und adäquaten Berufen.
spielen auf markt immer noch unterrepräsen- auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Auch Vorurteile und diskriminie-
dem saarlän- tiert. So lag der Frauenanteil an den Dies wird durch eine Vielzahl von rende Strukturen in der Aufnahme-
dischen ausländischen Beschäftigten bei Hindernissen bedingt. gesellschaft stellen ein Hindernis
Arbeitsmarkt 37 Prozent und der Anteil der Män- Der im Interkulturellen Kompe- dar. Besonders Frauen, die aus
bereits eine ner bei 63 Prozent. Bei der Suche tenzzentrum in Völklingen ansäs- Ländern mit mehrheitlich muslimi-
wichtige nach einer fair bezahlten und quali- sige Verein BARIŞ – Leben und scher Bevölkerung stammen,
Rolle. Ihr fikationsgerechten Stelle stoßen Lernen kooperiert eng mit der müssen bekanntlich mehr Bewer-
Potenzial Migrantinnen oft auf Schwierigkei- Arbeitskammer. Dadurch entstan- bungen schreiben, um zu einem
könnte aber ten. Sie erfahren eine doppelte Be- den verschiedene Angebote, die Vorstellungsgespräch eingeladen
noch besser nachteiligung, nicht nur aufgrund vor allem darauf abzielen, Frauen zu werden.
ausgeschöpft ihres Geschlechts, sondern auch mit Migrationshintergrund zu un- Die AK fordert, Migrantinnen als
werden. wegen ihrer Herkunft. terstützen. Ein Schwerpunkt dieser eigenständige heterogene Ziel-
gruppe stärker in den Fokus der
Arbeitsmarktakteure zu rücken. Sie
müssen mit ihren individuellen
Kompetenzen und Qualifikationen
durch konkrete Maßnahmen unter-
stützt werden. Dazu zählen nied-
rigschwellige Deutschkurs-Ange-
bote und die Verstärkung der
kultursensiblen und ressourcen-
orientierten Beratung zu Berufs-
tätigkeit. Auch ausreichende
Kinderbetreuungsangebote so-
Foto: Adobe Stock/Krumanop geeinrichtungen sind nötig.
wie kultur- und religionssensible
ambulante und stationäre Pfle-
Tarik Saidani ist Referent für
Migrationspolitik.
Dagmar Ertl ist Referentin für
14 · AK-Konkret 4|23 Arbeitsmarkt- und Armutspolitik.