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Arbeitswelten
        „Eine gesunde Grundanspannung



                                       ist immer da“




                              PORTRÄT  Reiner Gerber ist Justizvollzugsbeamter

                                  Von Katja Sponholz (Text) und Pasquale D‘Angiolillo (Foto)
        Es gibt eine Sache, die ärgert ihn, wenn von seinem     Denn es gelte, im Umgang mit den Gefangenen sen-
        Beruf die Rede ist. „Ich wehre mich gerne, wenn man     sibel und aufmerksam zu sein und auch ein paar
        von ‚Schließer‘ oder ‚Wärter‘ spricht. Das wird uns ein-  Schritte  weiterzudenken. Zum Beispiel,  wenn man
        fach nicht gerecht und auch nicht unseren Aufgaben,     mitbekommt, dass einer beim Besuch Stress mit der
        die sehr umfassend sind“, sagt Reiner Gerber. Denn      Freundin hatte. „Dann ist es gut, wenn alle ein beson-
        der  60-Jährige  ist  Justizvollzugsbeamter  in  der  JVA   deres Augenmerk auf ihn haben.“
        Ottweiler. Einem Ort, wo neben männlichen Erwach-
        senen mit geringeren Delikten wie Fahren ohne Fahr-     Die  Erfolge  in  diesem  Beruf  seien  leider  jedoch  oft
        erlaubnis oder Betrug auch jugendliche Straftäter un-   schwer messbar. Nur manchmal hört er, wenn jemand
        tergebracht sind. „Bei den Jugendlichen gibt es das     nach der Entlassung aus der Haft einen Job gefunden
        komplette Programm:  von Diebstahl                             oder eine Familie gegründet hat – „da freut
        über Körperverletzung bis zum Tötungs-                         man sich dann!“ Und natürlich dürfte man
        delikt“, berichtet Gerber. Und für alle   Wenn ich mich nicht   auch  nie vergessen,  dass  man  sich  in  einer
        sind die JVA-Beamten oft die ersten An-  vorinformiere und     Justizvollzugsanstalt  befindet:  Gerade  bei
        sprechpartner.                            mich auf die         den Jugendlichen stände zwar der Resoziali-
                                            Gefangenen einlasse,       sierungsgedanke im Mittelpunkt, doch auch
        Denkt man dann nicht bei jeder Begeg-  dann gehe ich immer     der Schutz der Allgemeinheit sei Auftrag der
        nung daran,  welche möglicherweise   freundlich auf sie zu     Beamten. „Wir sorgen für Sicherheit und Ord-
        schreckliche  Tat  derjenige  verübt  hat?                     nung. Da ist eine gesunde Grundanspannung
        „Am Anfang ist die Neugier schon groß,   – und das kommt in    immer  da.“  Selbst  gefährliche  Situationen  –
        man hat ja auch Zugang zu der  Akte   der Regel dann auch      wie Schlägereien – stufe man irgendwann als
        oder kennt den Haftbefehl“, gibt der       so zurück.          normal ein.
        Amtsinspektor zu. „Aber ich habe die Er-
        fahrung gemacht: Wenn ich mich nicht                           Die Gefangenen benötigen seiner Einschät-
        vorinformiere und mich einfach auf die                         zung nach inzwischen mehr psychologische
        Gefangenen einlasse, dann gehe ich im-                         Unterstützung als früher:  Viele seien nach
        mer  freundlich  auf  sie  zu  –  und  das                     Flucht- und Drogenerfahrungen sehr betreu-
        kommt in der Regel dann auch so zu-                            ungsintensiv  und  auch  psychisch  auffällig.
        rück.“ Dabei hatte sich Gerber zu Beginn seiner beruf-  „Da kommen wir schnell an unsere Grenzen.“ Helfen
        lichen Tätigkeit gar keine großen Gedanken um seine     könne da sicherlich auch eine neue zusätzliche Aus-
        spätere Arbeit in einem Gefängnis gemacht. Nach ei-     bildung zur Psychiatriefachpflege, die es in anderen
        ner kaufmännischen Lehre war er zunächst vier Jahre     Bundesländern schon gebe.  Doch ob Reiner Gerber
        bei der Bundeswehr und hatte sich dann nach dem         das in Ottweiler noch miterleben wird, ist fraglich. Er
        Tipp eines Kameraden für den Strafvollzugsdienst be-    selbst denkt schon an sein eigenes „Strafzeitende“,
        worben.  „Der  Anreiz  war  vor  allem,  im  öffentlichen   wie er lächelnd formuliert: Ende 2024 wechselt er in
        Dienst bleiben und einen interessanten Beruf haben      den wohlverdienten Ruhestand.
        zu können.“

        Dass er unter rund 250 Bewerbern den Platz für die
        damals noch zweijährige Ausbildung  erhielt, führt er
        auch auf Referenzen aus der Bundeswehrzeit zurück.            HINTERGRUND
        Auch seine Erfahrungen mit Menschenführung als
        Unteroffizier seien ihm sicher zugutegekommen. Und              Für eine Ausbildung im Strafvollzug
        nicht zuletzt wohl auch eine gewisse Autorität, die er           benötigen Bewerber einen Hauptschul-
        ausstrahlte. „Ein gutes Stichwort“, meint er. Denn seit          abschluss und eine abgeschlossene
        sechs Jahren betreut er als Ausbildungsleiter auch die           Berufsausbildung oder den mittleren
        Beamtenanwärter und Neueinstellungen. „Denen                     Bildungsabschluss.
        sage ich immer: Ihr bekommt  von unserem Dienst-
        herrn eine  Amtsautorität in Form einer Uniform. Die            Beamte im Justizvollzugsdienst verdien-
        verpufft aber schnell. Wichtig ist, dass man sich eine           en in der Ausbildung 1.273,52 Euro brutto.
        Persönlichkeitsautorität erarbeitet – und die ist indivi-
        duell.“  Und noch etwas sollten JVA-Beamte (neben               Die Dauer der Ausbildung beträgt 21
        körperlicher  Fitness)  mitbringen:  „Sie  müssen  nicht         Monate, wird aber in der Regel auf 18
        nur durchsetzungsfähig und belastbar sein, sondern               Monate verkürzt.                 ks
        auch kommunikativ. Das ist ganz ganz wichtig.“

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