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Saar-Wirtschaft: Rück- und Ausblick
                           Die saarländische Wirtschaft


                           bleibt weiterhin im Krisenmodus



                           TRANSFORMATION Kritisches Krisenbewusstsein ist bei der Gestaltung entscheidend

                           Das Weltgeschehen 2022 wurde   wichtigen Vorprodukten  insbe-  herigen  Jahresverlauf  erneut
                           von verschiedenen Krisen      sondere kriegs-, aber auch sank-  über 500 Arbeitsplätze. Das Saar-
                           geplagt, welche auch die      tionsbedingte Liefer- und Logis-  land droht abermals in eine tiefe
                           kommenden Jahre prägen        tikprobleme  sowie verteuerte   und  anhaltende Wirtschaftskrise
                           werden. Die Vielzahl an Heraus-  Preise  für  Gas  und  Rohöl  hinzu.   zu schlittern.
                           forderungen verstärken sich   Darunter leidet vor allem auch die   Die Perspektiven sind wahrlich
                           gegenseitig und scheinen sich   Exportindustrie, welche  –  neben   düster: Der Klimacrash ist schon
                           zu einer umfassenden System-  der relativen Lohnzurückhaltung   da, die Covid-19-Pandemie noch
                           krise zu verbinden. Die Aus-  der Beschäftigten – stark auf billi-  nicht  überwunden.  Die  globale
                           gangslage für die saarländische   ger  Energie  aus  Russland  be-  Schuldenkrise nimmt weiter ihren
                           Wirtschaft stellt sich aufgrund   ruhte.  Insbesondere  energiein-  Lauf, die Ressourcen- und Ener-
                           der anhaltenden Strukturwan-  tensive Industriezweige  wie die   giekrise hat längst eingesetzt. Die
                           delprozesse als besonders     saarländische Stahlindustrie sind   aktuellen Preissteigerungen brin-
                           prekär dar.                   betroffen.  Störungen  in  globalen   gen Massenverarmung mit sich,
                                                         Lieferketten können zudem zu   die öffentliche Infrastruktur droht
                           Von Jonas Boos                Beeinträchtigungen  in vorgela-  zu zerbrechen. Weltweit sind Mil-
                                                         gerten Produktionsstufen auch in   lionen Menschen auf der Flucht,
                           Energiekrise,  Wirtschaftskrise,  Zuliefererbetrieben im Saarland   rechte Krisenpolitik gewinnt eu-
                           Klimakrise,  „Migrationskrise“  –   führen. Coronakrise und Ukraine-  ropaweit  an  Zuspruch.  Die welt-
                           Krieg, Pandemie, Inflation, soziale   Krieg machen deutlich,  wie   weite  Großkriegsgefahr wächst,
                           Spaltung. Angesichts dieser Viel-                          die  nächste  Rezession  steht  be-
                           zahl an unterschiedlichen Krisen-  Die Perspektiven sind   vor.
                           situationen scheint es zunächst   wahrscheinlich düster      Diese komplizierte Gemenge-
                           überraschend, dass das BIP                                 lage  vereinigt sich zu einer ge-
                 Energie-  (preisbereinigt)  im  ersten  Halb-  schnell globale Lieferketten und   samtgesellschaftlichen  Krisen-
                 intensive   jahr  2022  im  Saarland  um  3,3   internationale Handelsbeziehun-  spirale, die grundlegende Fragen
                Industrie-  Prozent gewachsen ist. Dies darf   gen unter Druck geraten können.   nach  systemischen Veränderun-
               zweige wie   aber nicht darüber hinwegtäu-  Hierzulande treffen die ökonomi-  gen  aufwirft  –  auch  um  globale
                 etwa die   schen, dass  sich die  saarländi-  schen Auswirkungen zeitlich auf   Abhängigkeiten verringern  und
             saarländische   sche Wirtschaft weiterhin im Kri-  eine strukturelle Krisensituation   lokale  Wertschöpfungsketten
             Stahlindustrie   senmodus befindet und seit Jah-  in  der  Industrie:  Zwischen  2015   aufbauen zu können. Was gerade
              sind von der   ren mit enormen Herausforde-  und 2021 wurden rund 9.400 so-  auf der Welt passiert, ist kein Zu-
                    Krise   rungen  kämpft.  Im  Jahr  2022   zialversicherungspflichtige  Jobs   fall;  es  ist  auch  nicht  der  Fehler
               besonders   kamen zu den pandemiebeding-  in der saarländischen Industrie   oder die Schuld einzelner  Ak-
                betroffen.  ten  Lieferschwierigkeiten  bei  abgebaut  (-9,5  Prozent),  im  bis-  teure, die nur „den Profit“ im Kopf
                                                                                      haben. Die Krisen sind die Auswir-
                                                                                      kungen eines Gesellschaftssys-
                                                                                      tems voller innerer Widersprüche
                                                                                      und notwendige Folge dessen,
                                                                                      warum und  wie gewirtschaftet
                                                                                      wird: Sollen Unternehmen in der
                                                                                      ständigen Konkurrenz auf dem
                                                                                      freien Markt nicht untergehen,
                                                                                      müssen sie Gewinne machen,
                                                                                      immer  wieder neu investieren
                                                                                      und ihre Produktion steigern. Der
                                                                                      uferlose Wachstumszwang  pro-
                                                                                      duziert eine ökologisch  verwüs-
                                                                                      tete Welt und eine sozial gespal-
                                                                                      tene und in großen  Teilen  ver-
                                                                                   Foto: Adobe Stock/ABCDstock  sche  Produktionsweise  kann
                                                                                      armte Menschheit. Die kapitalisti-
                                                                                      keine  Rücksicht  darauf  nehmen,
                                                                                      wie viel  Natur  zerstört wird, wie
                                                                                      viele  Menschen  im  Elend  leben.
                                                                                      Zur Erweiterung von Einfluss und
                                                                                      Absatzmärkten  wird auch nicht
                                                                                      vor  Kriegen  zurückgeschreckt.


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