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Saar-Wirtschaft: Rück- und Ausblick

        Die  Auswirkungen  des  jahrelan-
        gen Konkurrenzkampfs kommen
        nun auch vermehrt in den kapita-
        listischen Zentren an.
          Die sozialen Folgen sind  ver-
        heerend: Immer mehr Menschen
        haben Angst vor dem Verlust des
        Arbeitsplatzes und sinkendem
        Wohlstand, vor einem Leben am
        Existenzminimum.  Insbesondere
        ärmere Menschen fragen sich, ob
        sie sich in den kommenden Mo-
        naten noch genügend Lebens-                                                          Foto: Adobe Stock/Perfectlab
        mittel oder eine  warme Dusche
        leisten können. Aber die steigen-
        den Preise treffen in zunehmen-
        dem Maß auch die sogenannte
        Mittelschicht. Das Bild der immer   Immer mehr Menschen fürchten sich vor dem Verlust des Arbeits-
        weiter  auseinandergehenden  platzes und einem Leben am Existenzminimum.
        Schere zwischen Arm und Reich
        ist  mittlerweile  überstrapaziert.   darität sind  mit einer  konkreten   Profitlogik; und damit über einen
        Dabei  sind es die  Arbeitnehmer   Transformationsstrategie  anzu-  Inflationsausgleich durch höhere
        und Arbeitnehmerinnen, die den   sprechen. Aus Arbeitnehmerper-  Löhne  hinaus.  Letztlich  muss
        Reichtum der Gesellschaft schaf-  spektive sollte der Leitgedanke   auch im konkreten sozialen
        fen. Reichtum, der aber nur zu ei-  eine emanzipatorische Strategie   Kampf schon der  Ausbruch aus
        nem (zu) geringen Teil bei ihnen   sein, so dass die Menschen am   dem kapitalistischen Gedanken-
        ankommt. Wobei nicht die Vertei-  Arbeitsplatz oder am  Wohnort   gefängnis gewagt werden: Hin zu
        lung  des  Reichtums  ursächlich   beginnen, sich für ihre Interessen   einer Gesellschaft, in der sich die
        für Armut, Ausbeutung  und  Kri-                           Produktion bewusst an den Be-
        sen ist, sondern die Logik der ka-  Eine gute gesellschaftliche   dürfnissen der Menschen orien-
        pitalistischen Produktionsweise:   Infrastruktur ist zentral  tiert  statt  an  Gewinnsteigerung.
        Ziel des  Wirtschaftens ist nicht                          Es geht  darum,  Vorschläge  zu
        die Herstellung gesellschaftlich   zu organisieren. Entscheidend ist   entwickeln, die die Menschen
        notwendiger Dinge wie Nahrung,   hier ein kritisches Krisenbe-  dazu ermuntern, sich in die ge-
        Kleidung oder Wohnungen, son-  wusstsein. Ein solches kann sich   sellschaftlichen Auseinanderset-
        dern aus Geld mehr Geld zu ma-  anfangs auch in Sozialprotesten   zungen einzubringen – nicht zu-
        chen. Die Gewinne stammen da-  und Umverteilungsforderungen   letzt auch um rechte Vorschläge
        bei aus der Arbeit der lohnabhän-  ausdrücken,  wenn diese bei-  zu Krisenlösungen zurückzu-
        gigen  Bevölkerung.  Da  die  Ge-  spielsweise darauf abzielen, dass   drängen. Schon in der sogenann-
        winne immer  weiter steigen   die  Reichen  für  die  anstehende   ten Migrationskrise und der Co-
        müssen, entsteht ein enormer   Transformation zahlen.      vid-19-Pandemie  hat  sich  ge-
        Druck, die Kosten zu senken, das   Das aktuell unmittelbar  wich-  zeigt, wie anfällig große Teile der
        heißt Löhne und  Arbeitsbedin-  tigste Mittel, um die Krise verkraf-  Bevölkerung für Verschwörungs-
        gungen zu drücken – wo es Ge-  ten zu können, ist der Kampf um   mythen und rechte Parolen sind.
        winner gibt, muss es auch Verlie-  Lohnerhöhungen. Darüber hinaus   Dabei geht eine besondere Ge-
        rerinnen  geben.  Die  derzeitige   ist der Einsatz für eine gute ge-  fahr von verkürzter Krisenanalyse
        Krise ist ein besonders drasti-  sellschaftliche Infrastruktur in   aus, die menschenfeindliche und
        scher  Ausdruck dafür,  wie der   den Bereichen Gesundheits- und   reaktionäre Bewegungen entste-
        Reichtum sich aus der Armut der   Energieversorgung,  Bildung,  hen  lassen  kann.  Hier  sei  an  die
        Massen speist und die Bedürfnis-  ÖPNV etc. zentral. Eine gute ge-  Krise von 1929 und deren Folgen
        befriedigung der kapitalistischen   sellschaftliche  Infrastruktur ver-  erinnert:  Die  damalige  Ideologie
        Logik untergeordnet wird.    langt auch gute Arbeit. Wenn im   besagte, man  könne durch  die
          Immer mehr Menschen schei-  Rahmen  des  ökologischen  Um-  Vernichtung des ausgemachten
        nen zu spüren, dass es so nicht   baus befürchtet wird, dass weiter   Bösen – in der Nazi-Ideologie Ju-
        weitergehen kann: Die  vorherr-  industrielle Arbeitsplätze  abge-  den  und  Jüdinnen  –  die  Krise
        schende Wirtschaftsweise  droht   baut werden, könnte die Verkür-  überwinden.
        an ihren  Widersprüchen zu zer-  zung der Erwerbsarbeitszeit eine   Aufgabe  progressiver Kräfte
        brechen.  Um  noch  schlimmeren   Perspektive bieten, um Lohnar-  muss es sein, sich in die aktuellen
        Krisen zu begegnen, gilt es den   beit und reproduktive Arbeit ge-  sozialen Kämpfe, Proteste und
        derzeit ergebnisoffenen Transfor-  rechter  zu  verteilen  –  innerhalb   Bewegungen einzubringen und
        mationsprozess in eine fort-  der Industrie, zwischen den ver-  den Prozessen der Systemtrans-
        schrittliche  Richtung  zu  lenken.   schiedenen Branchen und letzt-  formation eine solidarische Dyna-
        Das zunehmende soziale Elend,   lich auch zwischen den Ge-  mik zu verleihen.
        der dringende ökologische Um-  schlechtern.  Eine  solche  Orien-
        bau der Produktion sowie die An-  tierung zielt insgesamt auf das   Jonas Boos ist Referent für
        forderungen internationaler Soli-  Zurückdrängen der Markt- und   Konjunktur- und Strukturpolitik.

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