Page 15 - AK-Konkret: 6 | Konkret Spezial „Leben + Freizeit“
P. 15
Saar-Wirtschaft: Rück- und Ausblick
Die Auswirkungen des jahrelan-
gen Konkurrenzkampfs kommen
nun auch vermehrt in den kapita-
listischen Zentren an.
Die sozialen Folgen sind ver-
heerend: Immer mehr Menschen
haben Angst vor dem Verlust des
Arbeitsplatzes und sinkendem
Wohlstand, vor einem Leben am
Existenzminimum. Insbesondere
ärmere Menschen fragen sich, ob
sie sich in den kommenden Mo-
naten noch genügend Lebens- Foto: Adobe Stock/Perfectlab
mittel oder eine warme Dusche
leisten können. Aber die steigen-
den Preise treffen in zunehmen-
dem Maß auch die sogenannte
Mittelschicht. Das Bild der immer Immer mehr Menschen fürchten sich vor dem Verlust des Arbeits-
weiter auseinandergehenden platzes und einem Leben am Existenzminimum.
Schere zwischen Arm und Reich
ist mittlerweile überstrapaziert. darität sind mit einer konkreten Profitlogik; und damit über einen
Dabei sind es die Arbeitnehmer Transformationsstrategie anzu- Inflationsausgleich durch höhere
und Arbeitnehmerinnen, die den sprechen. Aus Arbeitnehmerper- Löhne hinaus. Letztlich muss
Reichtum der Gesellschaft schaf- spektive sollte der Leitgedanke auch im konkreten sozialen
fen. Reichtum, der aber nur zu ei- eine emanzipatorische Strategie Kampf schon der Ausbruch aus
nem (zu) geringen Teil bei ihnen sein, so dass die Menschen am dem kapitalistischen Gedanken-
ankommt. Wobei nicht die Vertei- Arbeitsplatz oder am Wohnort gefängnis gewagt werden: Hin zu
lung des Reichtums ursächlich beginnen, sich für ihre Interessen einer Gesellschaft, in der sich die
für Armut, Ausbeutung und Kri- Produktion bewusst an den Be-
sen ist, sondern die Logik der ka- Eine gute gesellschaftliche dürfnissen der Menschen orien-
pitalistischen Produktionsweise: Infrastruktur ist zentral tiert statt an Gewinnsteigerung.
Ziel des Wirtschaftens ist nicht Es geht darum, Vorschläge zu
die Herstellung gesellschaftlich zu organisieren. Entscheidend ist entwickeln, die die Menschen
notwendiger Dinge wie Nahrung, hier ein kritisches Krisenbe- dazu ermuntern, sich in die ge-
Kleidung oder Wohnungen, son- wusstsein. Ein solches kann sich sellschaftlichen Auseinanderset-
dern aus Geld mehr Geld zu ma- anfangs auch in Sozialprotesten zungen einzubringen – nicht zu-
chen. Die Gewinne stammen da- und Umverteilungsforderungen letzt auch um rechte Vorschläge
bei aus der Arbeit der lohnabhän- ausdrücken, wenn diese bei- zu Krisenlösungen zurückzu-
gigen Bevölkerung. Da die Ge- spielsweise darauf abzielen, dass drängen. Schon in der sogenann-
winne immer weiter steigen die Reichen für die anstehende ten Migrationskrise und der Co-
müssen, entsteht ein enormer Transformation zahlen. vid-19-Pandemie hat sich ge-
Druck, die Kosten zu senken, das Das aktuell unmittelbar wich- zeigt, wie anfällig große Teile der
heißt Löhne und Arbeitsbedin- tigste Mittel, um die Krise verkraf- Bevölkerung für Verschwörungs-
gungen zu drücken – wo es Ge- ten zu können, ist der Kampf um mythen und rechte Parolen sind.
winner gibt, muss es auch Verlie- Lohnerhöhungen. Darüber hinaus Dabei geht eine besondere Ge-
rerinnen geben. Die derzeitige ist der Einsatz für eine gute ge- fahr von verkürzter Krisenanalyse
Krise ist ein besonders drasti- sellschaftliche Infrastruktur in aus, die menschenfeindliche und
scher Ausdruck dafür, wie der den Bereichen Gesundheits- und reaktionäre Bewegungen entste-
Reichtum sich aus der Armut der Energieversorgung, Bildung, hen lassen kann. Hier sei an die
Massen speist und die Bedürfnis- ÖPNV etc. zentral. Eine gute ge- Krise von 1929 und deren Folgen
befriedigung der kapitalistischen sellschaftliche Infrastruktur ver- erinnert: Die damalige Ideologie
Logik untergeordnet wird. langt auch gute Arbeit. Wenn im besagte, man könne durch die
Immer mehr Menschen schei- Rahmen des ökologischen Um- Vernichtung des ausgemachten
nen zu spüren, dass es so nicht baus befürchtet wird, dass weiter Bösen – in der Nazi-Ideologie Ju-
weitergehen kann: Die vorherr- industrielle Arbeitsplätze abge- den und Jüdinnen – die Krise
schende Wirtschaftsweise droht baut werden, könnte die Verkür- überwinden.
an ihren Widersprüchen zu zer- zung der Erwerbsarbeitszeit eine Aufgabe progressiver Kräfte
brechen. Um noch schlimmeren Perspektive bieten, um Lohnar- muss es sein, sich in die aktuellen
Krisen zu begegnen, gilt es den beit und reproduktive Arbeit ge- sozialen Kämpfe, Proteste und
derzeit ergebnisoffenen Transfor- rechter zu verteilen – innerhalb Bewegungen einzubringen und
mationsprozess in eine fort- der Industrie, zwischen den ver- den Prozessen der Systemtrans-
schrittliche Richtung zu lenken. schiedenen Branchen und letzt- formation eine solidarische Dyna-
Das zunehmende soziale Elend, lich auch zwischen den Ge- mik zu verleihen.
der dringende ökologische Um- schlechtern. Eine solche Orien-
bau der Produktion sowie die An- tierung zielt insgesamt auf das Jonas Boos ist Referent für
forderungen internationaler Soli- Zurückdrängen der Markt- und Konjunktur- und Strukturpolitik.
AK-Konkret 6|22 · 15