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Kunst + Kultur






                                                                                             Foto: Lukas Ratius / Weltkulturerbe Völklinger Hütte  Die Arbeiter




                                                                                                 der Stadt-
                                                                                                 reinigung des
                                                                                                 Brüsseler
                                                                                                 Künstlers
                                                                                                 Jaune sind in
                                                                                                 Völklingen in
                                                                                                 vielen Var-
                                                                                                 iationen zu
                                                                                                 sehen.
        Die Urban Art zieht in die City



        VÖLKLINGER HÜTTE Die sechste Ausgabe der Ausstellung ist politischer denn je

        Die Urban Art Biennale probt in   mische,  die  sich  als  nicht  so   Künstler  haben  die  Herausfor-
        diesem Jahr den Brücken-     kunstaffin verstehen, zahlreicher   derung angenommen und dar-
        schlag vom Weltkulturerbe in   in  die  Hütte  locken  kann?  Man   auf mit „Think big!“ reagiert. Der
        die Völklinger City. Das be-  sollte es auf jeden Fall mit die-  Quebecer Street-Artist Roads-
        kommt ihr gut. Die sechste   sen und anderen Mitteln versu-  worth beispielsweise hat hier in
        Ausgabe mit vielen Künstlern   chen. Gleich wenn man aus dem   Riesenhieroglyphen,  die  an  die
        und Kollektiven aus aller Welt   Bahnhof kommt und nach links   rätselhaften  Erdzeichen  der
        setzt noch einige weitere neue   zum  Weltkulturerbe  abbiegt,   Nazca-Kultur  in  Peru  erinnern,
        Akzente. Der Besuch lohnt sich.  haben Generaldirektor Ralf Beil   auf  das Dach der Möllerhalle
                                     und der bewährte Biennalen-   den Appell  (auf  Englisch)  „Hört
        Von Silvia Buss              Kurator  Frank  Krämer  noch   auf,  den  Krieg  zu  finanzieren!“
                                     deutlicher signalisiert, dass die   gemalt. Lesbar ist das nur aus
        Wie wär’s mit einer Partie Tisch-  ehemalige Hütte für alle da sein   der  Luft  –  oder  von  der  Hoch-
        tennis auf alten Autos? Auspro-  will oder zumindest sein sollte.   ofenplattform.
        bieren kann man das jetzt in der   Hendrik  Beikirchs  riesiges   Der Brüsseler Schablonen-
        Völklinger City in der Forbacher   Porträt eines freundlich blicken-  künstler  Jaune  reagiert  auf  die
        Passage. Doch aufgepasst! Die   den  türkischen  Seniors  an  der   Größe  der  Hütte  genau  umge-
        Platten liegen schräg über den                             kehrt:   Seine   entzückenden
        Autodächern und Motorhauben,   Die Vielfalt macht den Reiz   Stadtreinigungsarbeiter, die sich
        die   Ping-Pong-Bälle  sind   der Urban Art Biennale aus   in allerlei Alltagsposen an Wän-
        schwer zu parieren. Was für ein                            den tummeln, sind winzig klein
        spaßiges  Abenteuer!  Nicht  das   Wand eines Saarstahl-Gebäu-  und  verlangen  erhöhte Auf-
        einzige, das einen bei der 6. Ur-  des setzt nicht nur diesem   merksamkeit.  Natürlich  ent-
        ban Art Biennale erwartet. In der   selbst, sondern allen türkischen   deckt  man  auch  2022  wieder
        altehrwürdigen  Röchling-Bank   Migranten, die einst als Gastar-  viele  Exponate  in  der  Möller-
        etwa   liegen  massenweise   beiter kamen, einen Beitrag zum   halle und sonstwo auf dem Ge-
        Schließfachschlüssel zu Dreie-  Wohlstand leisteten und mit ih-  lände. Ein Faltplan und eine App
        cken  arrangiert  einfach  so  auf   ren Kindern heimisch  wurden,   helfen sie zu finden. Zwei Stun-
        dem  Boden.  Nun  ja,  die  Bank-  ein Denkmal.            den sollte man schon einkalku-
        Schließfächer sind  wohl längst   Auch hat die Biennale  nach   lieren.  Ob verspielt  oder  –  die-
        geräumt, die Bankräume stehen   eigener Aussage mehr Künstler   ses  Jahr  vermehrt  –  mit  politi-
        schon viele Jahre  leer.  Urban-  und Künstlerinnen als in der   scher Botschaft, ernst, drama-
        Art-Künstler  haben sie neu er-  Vergangenheit  eingeladen,  tisch, subversiv oder ironisch bis
        obert:  mit  farbenfrohen  Wand-  nicht Fertiges zu schicken, son-  sarkastisch,   genre-orientiert
        bildern  und  Installationen,  die   dern so wie Beikirch neue Werke   oder sich  mehr an der bilden-
        womöglich  durch Wassily  Kan-  vor Ort zu entwickeln. Auch das   den Kunst reibend und gleich in
        dinsky   inspiriert   sind,   mit   macht die Schau spannender,   welcher Technik:  Es  ist wie  im-
        Leuchtstäben,  Hüttenfotos  und   denn die Künstler haben sich   mer die Vielfalt, die den Reiz der
        mit  von  Hand  geschriebenen   nicht nur formal, sondern auch   Völklinger  Urban  Art  Biennale
        französischen Geschichten, die   inhaltlich  mit  dem  Weltkultur-  ausmacht.  Sie  läuft  bis  zum  6.
        ganze  Wände  und  Fenster  be-  erbe auseinandergesetzt. Das   November. Kinder, Schüler, Azu-
        decken. Ob man mit dieser Öff-  Besondere der Hüttenanlage ist   bis und Studierende bis 27 Jahre
        nung zur Stadt hin auch Einhei-  ihre  gigantische  Größe.  Einige   haben freien Eintritt.

                                                                                       AK-Konkret 3|22  ·  35
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