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Arbeit + Gesundheit
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        dürfnis, durch Leistung von an-  Arbeitsregeln sind wichtig“, sagt   Die „perfekten“
        deren  Leuten wahrgenommen   der Coach. Aus seiner Erfahrung
        und anerkannt zu  werden“, be-  als Wirtschaftspsychologe wisse   Mitarbeiter?
        schreibt Hemsing.  Jemand, der   er, dass für viele Menschen die
        eine gewisse  Achtsamkeit mit   subjektiv akzeptierte tägliche   ARBEITGEBER DENKEN LANGSAM UM
        sich selbst hat, spürt irgend-  Arbeitszeit bei zehn oder elf
        wann, dass die Arbeit zu viel wird   Stunden liege, obwohl in ihrem   Workaholics  müssen für  Arbeitgeber
        und bremst sich. Es sei denn, die   Vertrag nur acht stehen. Hier gilt   1  doch eigentlich die idealen Mitarbeiter
        Überbelastung dient ihm zu et-  es anzusetzen. Natürlich lässt       sein, oder? „Ja, von vielen wird das so-
        was. „Es macht ja auch Spaß“,   sich nicht unbedingt realisieren,   gar ausgenutzt“, meint der Saarbrücker  Wirt-
        gibt  der  Psychologe  zu  beden-  dass man keine einzige Über-  schaftspsychologe Andreas Hemsing. „Skrupel-
        ken. Schließlich handle es sich   stunde  mehr leistet und nach   lose Vorgesetzte freuen sich und schließen die
        um einen Stressfaktor, der am   acht Stunden seinen  Arbeits-  Augen, wenn sie sehen, dass jemand an seine
        Ende zu einem Glücksgefühl   platz  verlässt. „Aber man sollte   Grenzen oder darüber hinaus geht.“ Auf der an-
        führt und dabei im Gehirn die   versuchen,  sich eine  Grenze  zu   deren Seite stellt Hemsing fest, dass sich das
        gleichen  biochemischen  Pro-  setzen: Etwa, dass man pro Wo-  Bewusstsein bei vielen Arbeitgebern heute än-
        zesse auslöst  wie jede andere   che maximal an zwei Tagen eine   dere. „Sie denken heute auf längere Sicht und
        Sucht.                       Stunde mehr macht. Oder dass    wissen, dass sie ihre Mitarbeitenden eher pfle-
          Wenn jedoch die körperlichen   man die Überstunden regelmä-  gen und dafür sorgen müssen, dass sie lange
        Symptome  zunehmen, wenn     ßig  reduziert  und  alle  14  Tage   Jahre und nicht lange Tage arbeiten.“
        sich  Angehörige und Freunde   wieder bis auf Null setzt.“
        beklagen,  dass man  zu  wenig   Vor allem aber brauche ich
        Zeit  mit ihnen  verbringt,  dann   etwas, was auch außerhalb des
        wird es höchste Zeit, die Reiß-  Jobs attraktiv ist, um mich  von   Je jünger, umso
        leine zu ziehen. Ganz alleine   der Arbeitsstätte  wegzulocken.
        schafft  man  es  jedoch  kaum,   „Etwas,  was einen gewissen   arbeitssüchtiger
        sich  aus  dieser  Sucht  zu  be-  Lustgewinn erzeugt und mich
        freien. „Eine Selbsttherapie ist   wegzieht“, beschreibt Hemsing.   REAKTION AUF ZU „HOHES“ GEHALT?
        selten erfolgreich“, meint Hem-  Es geht darum, immer  wieder
        sing. „Ich brauche jemanden,   einen Ausgleich zu schaffen zwi-      Bei einer Umfrage des britischen Mei-
        der mich auf die Spur bringt, der   schen der Leistungserbringung   2  nungsforschungsinstituts  YouGov  un-
        mir die  richtigen  Fragen stellt,   auf der einen Seite und den Be-  ter 5025 Deutschen im Juli 2023 sag-
        damit ich meine persönlichen   reichen Entwicklung, Sinnsuche   ten am häufigsten die 25- bis 34-Jährigen, süch-
        Ursachen für dieses  Verhalten   (Kultur,  Karitativität,  Spiritualität)   tig nach Arbeit zu sein. Unter ihnen machte der
        erkenne.“  Er  empfiehlt  stattdes-  und sozialer Nähe auf den an-  Anteil der selbst ernannten Workaholics ganze
        sen, sich in einem ersten Schritt   deren  Seiten.  Auch  ein Enga-  29 Prozent aus. Mit 24 Prozent bei den 35- bis
        einer Selbsthilfegruppe anzu-  gement  im  freiwilligen  Bereich   44-Jährigen, 15 Prozent bei den 45- bis 54-Jähri-
        schließen oder professionelle   kann da für die nötige Entspan-  gen und zwölf Prozent bei den über 55-Jährigen
        Hilfe in Form einer Psychothera-  nung sorgen. Sehr sogar,  weiß   sinkt die Zahl der Arbeitssüchtigen mit zuneh-
        pie zu suchen. Sie könne helfen,   Andreas Hemsing: „Ehrenämter   mendem  Alter. Eine Erklärung dafür könnte
        die  verantwortlichen Treiber  zu   gehören  zu den glücklich  ma-  sein, dass Jüngere, die mit einem hohen Gehalt
        identifizieren  und  umzuleiten,   chendsten Dingen im Leben –   starten, das Gefühl haben, sie hätten „noch nicht
        „damit sie nicht wieder in diese   neben Gartenarbeit.“      genug drauf“, um schon viel Geld zu verdienen.
        Falle hineinrutschen.“                                       Dies versuchten sie dann mit umso mehr Arbeit
          Und   auch  prophylaktisch  Katja Sponholz arbeitet als freie  zu kompensieren, zeigten bereits Studien im
        kann man aktiv  werden. „Klare   Journalistin in Saarbrücken.  Jahr 2011.


                                                                     ANSPRECHPARTNER

                                                                     Arbeitskammer: Fragen rund um die The-
                                                                     men Sicherheit und Gesundheitsschutz be-
                                                                     antworten  die  Mitarbeiterinnen  und  Mitar-
                                                                     beiter des Referats Betriebliche Sicherheit
          Foto: Adobe Stock/Thomas Reimer                            arbeitskammer.de,  Tel.:  0681  4005-328,
                                                                     und Gesundheitsschutz der Arbeitskammer.
                                                                                E-Mail:
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                                                                                          gesellschaftspolitik@
                                                                     -322 und -336
                                                                     BEST  e.V.: Die Mitarbeiterinnen und Mitar-
                                                                     beiter von BEST bieten Betriebs- und Perso-
                                                                     nalräten sowie Mitarbeitervertretungen be-
                                                                     lastungssituationen, Arbeitszeit und betrieb-
                                                                                                          an.
                                                                     lichem
                                                                               Gesundheitsmanagement
        Wer den Verdacht hat, Workaholic zu sein, sollte sich professionelle   triebliche Analysen und Beratungen zu Be-
        HIlfe  holen. Wer  die Tendenz  hat,  zu viel  zu  arbeiten,  kann  mit     Kontakt:  www.best-saarland.de,  Tel.:  0681
        attraktiven Freizeitaktivitäten dagegensteuern.              4005-249
                                                                                       AK-Konkret 2|24  ·  27
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