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Titelthema zur Krise
                           „Die Politik ist in der Pflicht“



                           GASTRONOMIE Es braucht eine Sozialversicherungspflicht auch für Mini-Jobber

                           Das Gastgewerbe wurde von     haben die Pandemie allerdings   schen Hotel- und Gaststätten-
                           der Corona-Pandemie beson-    genutzt, um sich personell zu   verband (DEHOGA) und der NGG
                           ders hart getroffen. Viele    verschlanken. Das lag zum einen   mit  Abstand zum Mindestlohn,
                           Beschäftigte haben die Bran-  an der Bürokratie des Kurzarbei-  40-Stunden-5-Tage-Woche  mit
                           che verlassen. Damit sich das   tergeldes, zum anderen daran,   Zuschlägen, Urlaubs- und Weih-
                           nicht wiederholt, müssen Politik   dass  zahlreiche  Betriebe  eine   nachtsgeld kommen nur den
                           und Arbeitgeber nun handeln,   Vielzahl an Minijobbern be-  wenigsten zu Gute. Hier sind die
                           erklärt Tobias Wolfanger,     schäftigt hatten. Diese haben   Sozialpartner gemeinsam  ge-
                           Geschäftsführer der Gewerk-   aber keinen Anspruch auf Kurz-  fragt. Nur durch flächendeckend
                           schaft Nahrung-Genuss-Gast-   arbeitergeld, sodass man hier in   gute Arbeitsbedingungen  und
                           stätten (NGG) Region Saar, in   Zeiten  des  Lockdowns  so  gut   angemessene Bezahlung lässt
                           einem Gastbeitrag.            wie  immer die Kündigung aus-  sich der Kampf ums Personal
                                                         gesprochen hat.              gewinnen.
                           Von Tobias Wolfanger            Als es dann nach den Öffnun-  Kurz nach dem lukrativen
                                                         gen  wieder richtig losging, hat   Sommergeschäft, das vielerorts
                           Mehr  als  300.000  Menschen   sich das schnelle Entledigen   aufgrund des Personalmangels
                           haben seit der Corona-Pande-  von Personal gerächt. Denn von   nicht so üppig  wie gewünscht
                           mie das Hotel- und Gaststätten-  den 300.000 Beschäftigten, die   ausgefallen  ist, wird das anste-
                           gewerbe verlassen. Die Branche   die Branche  verlassen haben,   hende Weihnachtsgeschäft von
                   Tobias   hat sich in den  vergangenen   kommen viele nicht zurück. Sie   den  höheren  Energiepreisen
                Wolfanger   Jahren von einer sicheren Bank   haben zum Beispiel Jobs im Ein-  überschattet. Viele  Betreiber
               (Foto: privat)   im Sinne der saarländischen Le-                       überlegen, wegen zum Teil vier-
                 ist neuer   bensweisheit „Hauptsach gudd   60 Prozent von zu wenig    mal höherer Energiekosten (vor-
             Geschäftsfüh-  gess“ und vielen Kundinnen und     ist viel zu wenig      übergehend)  zu  schließen.  Das
               rer der NGG   Kunden hin zu einer Risikobran-                          wäre eine fatale Entwicklung für
               Region Saar   che entwickelt. Beschäftigte, die   zelhandel  gefunden, welcher   die Branche, denn ob diese sich
             und zuständi-  ihren Hauptverdienst im Gastge-  die  belastbaren  Gastro-Be-  nach   einem   „Energie-Lock-
              ger Verhand-  werbe haben, kommen schwe-   schäftigten aktiv abgeworben   down“ ein weiteres Mal erholen
            lungsführer für   rer an Kredite bei der Bank und   hat. Insbesondere auch Fach-  kann, ist mehr als fraglich.
             das Saarländi-  müssen wie in den vergangenen   kräfte. So stellt die hohe Arbeits-  Die Arbeitgeber und die Politik
               sche Hotel-   beiden Wintern  wieder  einmal   belastung bei den Gebliebenen   müssen deshalb Verantwortung
             und Gaststät-  um ihren Job bangen.         oder Rückkehrern einen Teufels-  übernehmen. Die Branche hat
              tengewerbe.    Die Zeit nach den umfassen-  kreis dar. Wenn ein Betrieb nur   aus den Fehlern der Pandemie
              Zuvor war er   den  Corona-Beschränkungen,  eine Köchin hat und man einen   nicht gelernt. Die Minijobber
               als Gewerk-  von der Masken- und Abstands-  Mittagstisch  und Abendessen   werden  wieder die ersten sein,
             schaftssekre-  pflicht  bis  hin  zu  den  langen   anbietet, dann sind Überstun-  die in großer Zahl gehen müs-
                  tär beim   Lockdowns für die Branche, ha-  den  an  der  Tagesordnung.  Das   sen. Durch die fehlende Sozial-
                Deutschen   ben tiefe Spuren hinterlassen.   Image des Gastgewerbes als   versicherungspflicht – und dem
                 Gewerk-   Einige Betriebsinhaber haben   Arbeitgeber war  schon  vor  der   damit fehlenden  Anspruch auf
              schaftsbund    sich in dieser Zeit entschieden,   Pandemie  angekratzt.  Die Tarif-  Kurzarbeitergeld – fallen sie ins
                    tätig.  ihren Betrieb einzustellen. Viele   verträge zwischen dem Deut-  Bodenlose. Deshalb muss die
                                                                                      Politik dafür sorgen, dass ab
                                                                                      dem ersten Euro Verdienst Sozi-
                                                                                      alversicherungspflicht  besteht.
                                                                                      Für die Kolleginnen und Kolle-
                                                                                      gen,  die in  Kurzarbeit  gehen
                                                                                      können,  muss  der  Zugang  er-
                                                                                      leichtert  werden und ein Min-
                                                                                      destkurzarbeitergeld  in  Höhe
                                                                                      von  1.200  Euro  eingeführt wer-
                                                                                      den beziehungsweise die pro-
                             Foto: Adobe Stock/annacovic                              von  zu wenig  ist viel  zu wenig.
                                                                                      zentuale  Höhe  vom  ersten  Tag
                                                                                      angehoben werden. 60 Prozent
                                                                                      Dazu  braucht es  konkrete Fi-
                                                                                      nanzhilfen für die Betriebe in Sa-
                                                                                      chen Energiekosten, um einen

                                                                                      dern. Wichtig dabei ist, dass Be-
                                                                                      triebe und Beschäftigte glei-
                           Das Gastgewerbe war gerade dabei, sich vom Corona-Lockdown zu   erneuten  Lockdown  zu  verhin-
                           erholen. Die aktuelle Krise belastet die Branche nun zusätzlich.  chermaßen profitieren.


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