Soziale Ungleichheit gefährdet die Demokratie

Pressedienst vom

„Der Zustand unserer Demokratie ist so schlecht wie lange nicht mehr. Mehr als ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung ist der Ansicht, dass das demokratische System in Deutschland nicht gut funktioniert, und fast die Hälfte sieht die Politik als nicht in der Lage, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Das ist ein Vertrauenstiefstand in das demokratische System in Deutschland. Und das spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen“, sagt Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlandes, bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Arbeitskammer-Berichts 2024 an die Regierung des Saarlandes. Als Kernproblem identifiziert die Arbeitskammer in ihrem Bericht die soziale Ungleichheit. Und die ist nicht nur ein sozialpolitisches Problem, sondern gefährdet die Demokratie massiv. „Damit der Rechtsruck nicht zu einem Flächenbrand wird und das Vertrauen in Staat und Demokratie wieder gestärkt wird, braucht es nicht nur einzelne politische und wirtschaftliche Leuchttürme, sondern ein ganzes Maßnahmenpaket, das alle gesellschaftlichen Bereiche im Blick hat“, so Caspar. Welche das sind, hat die Arbeitskammer am Mittwoch erläutert.

In Kürze: Wir brauchen ein stabiles soziales Sicherungssystem, wirksame Armutsbekämpfung und einen aktiven Staat, der auch in Infrastruktur (Bildung, Gesundheit, Wohnen, Verkehr) investiert. Damit wir uns das leisten können, braucht es endlich eine Reform der Schuldenbremse und ein gerechteres Steuersystem mit Vermögenssteuer und höherer Erbschaftssteuer.

Die digitale und ökologische Transformation stellt einen großen gesellschaftlichen Umbruch dar, der entsprechend gut gestaltet werden muss. Es bedarf einer Klimaschutzpolitik, die auch die sozialen und ökonomischen Auswirkungen mitbegleitet, einer Digitalisierungsstrategie, die alle Menschen erreicht und niemanden zurücklässt, eines Bildungssystems, das gleiche Chancen eröffnet und sich als Ort der Demokratie versteht, und politische Kommunikation, die die Gesellschaft nicht spaltet, sondern Brücken baut. 

Was bedeutet das im Einzelnen?

Die Zufriedenheit mit der Demokratie und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen hängt eng mit dem Einkommen zusammen. Ärmere Menschen sind unzufriedener mit der Demokratie und ihren politischen Einflussmöglichkeiten. Und das zu Recht: „Schaut man sich die Politik der letzten Jahrzehnte an, so lässt sich feststellen, dass sehr viele, insbesondere sozial- und arbeitsmarktpolitische Entscheidungen gegen die Interessen ärmerer Bevölkerungsgruppen - aber NIE gegen die Interessen der gut situierten Gruppen getroffen wurden“, betont Caspar. Die Ergebnisse dieser Politik zeigen sich in verschiedenen problematischen Entwicklungen.

Die Armutsquote hat im Saarland mit 19 Prozent (2022) einen im Zeitverlauf besorgniserregenden Höchststand erreicht. 189.000 der im Saarland lebenden Menschen sind von Armut betroffen, das sind 43.000 mehr als noch vor zehn Jahren.  Die Mietbelastungsquote ist im Saarland die höchste im Bundesvergleich, der energetische Zustand der Gebäude der schlechteste. Die Inflation hat in den letzten beiden Jahren zu sinkenden Realeinkommen der saarländischen Beschäftigten geführt und sie in der Breite zu Einschränkungen gezwungen. Nach den Ergebnissen der AK-Beschäftigtenbefragung mussten mehr als zwei Drittel der Befragten wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten Einsparungen vornehmen. Bei atypisch Beschäftigten sowie bei Niedriglohnbeschäftigten war der Anteil noch deutlich höher.

Die Unzufriedenheit mit dem System insgesamt kommt also vor allem daher, dass ein wachsender Anteil von Menschen finanziell bereits jetzt überfordert ist und ein großer Anteil der Menschen mit mittlerem Einkommen Angst vor zukünftigen Belastungen hat (neues Auto, neue Heizung, steigende Mieten). Entsprechend schwierig ist es, vor einem solchen Hintergrund große Veränderungsbereitschaft etwa für mehr Klimaschutzmaßnahmen zu wecken. Gleichzeitig stehen wir aber nun einmal vor der riesigen Herausforderung, die globale Erderwärmung aufzuhalten und mit den jetzt schon eintretenden Folgen der Klimakrise umzugehen. Das hat nicht zuletzt das Hochwasser im Saarland vor vier Wochen sehr deutlich gezeigt. Klimaschutzgesetzgebung muss deshalb zwingend soziale Auswirkungen und Verteilungsfragen analysieren und starke Belastungen abfedern. Sonst werden die Menschen die ökologische Modernisierung nicht mittragen (können).

Und es braucht ein stabiles soziales Sicherungssystem und wirksame Armutsbekämpfung. Der Dritte Aktionsplan Armutsbekämpfung für das Saarland muss dringend verabschiedet werden. Auch der soziale Wohnungsbau muss viel schneller vorankommen. Genauso wichtig ist der Ausbau einer nachhaltigen Mobilität im Land. Damit die Beschäftigten bei der Transformation der Industrie nicht auf der Strecke bleiben, werden selbstverständlich weiterhin staatliche Unterstützung beim Umbau der Industrie und mehr passgenaue Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote benötigt.

Für diese soziale Gestaltung der Transformation ist ein starker Staat unerlässlich. Dafür bedarf es öffentlicher Investitionen in strategische Transformationsbereiche und öffentliche Daseinsvorsorge. „Dafür muss das Land den einzelnen Ressorts (Bildung, Arbeit, Soziales) mehr Mittel für mehr Investitionen in die Menschen zur Verfügung stellen“, fordert Caspar. Auch eine Reform der Schuldenbremse hin zur „Goldenen Regel“ ist unerlässlich. „Tiefgreifenden Veränderungen unter dem Eindruck zusätzlicher akuter Krisen (Pandemie, Krieg) lassen sich nun mal nicht allein durch Marktmechanismen erreichen“, so Caspar. Da die Reform aufgrund parlamentarischer Mehrheiten derzeit nicht realistisch erscheint, gibt es alternative Möglichkeiten. So kann etwa das Land die Schuldenbremse umgehen, indem es mehr öffentliche Unternehmen gründet und damit wichtige Zukunftsinvestitionen per Kredit finanziert.

Auch müssen Land und Bund die Einnahmeseite stärker in den Blick nehmen. Das Land muss sich für ein gerechteres Steuersystem stark machen. Dazu gehört eine Reform der Erbschaftsteuer, die direkt den Ländern zugutekommt, und eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer.

Ein weiteres zentrales Handlungsfeld ist die Bildungspolitik. Die ausgeprägten Bildungsdisparitäten nach Herkunft und Geschlecht und die Bildungsarmut müssen nachhaltig verringert werden. Und Bildungseinrichtungen von Kitas bis hin zu den Hochschulen müssen verstärkt als Orte zur Entwicklung politisch-demokratischer Werte und von Partizipation verstanden werden. Dieser Auftrag muss von der Politik gefördert werden, etwa indem mehr Geld in politische Bildung fließt – und das dauerhaft.

Im Saarland waren im August 2023 noch 900 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Das deutet auf massive Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt hin und auf Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in den Beruf. Die Berufsorientierung muss in den Schulen deshalb einen höheren Stellenwert bekommen. Und noch eine Zahl ist alarmierend: Nur rund die Hälfte der Auszubildenden (DGB-Ausbildungsreport 2023) sind mit der Qualität des Berufsschulunterrichts zufrieden. Das ist historischer Tiefstand! „Wir müssen – auch finanziell – das Augenmerk viel stärker auf den Bereich Aus- und Weiterbildung legen, um passgenauere Angebote zu generieren und eine qualitativ bessere Ausbildung zu erreichen. Denn die jungen Menschen sind unsere Fachkräfte von morgen“, sagt Caspar.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Mitbestimmung. Mitbestimmte Unternehmen wirtschaften nicht nur nachhaltiger. Mitbestimmung ist auch ein wirksamer Hebel gegen Demokratieverdrossenheit. „Die Beschäftigten, die bei ihrer Arbeit mitgestalten können, deren Beschwerden und Vorschläge beachtet werden, die ihre Arbeit selbst planen oder bei der Einführung digitaler Technologien mitreden können, sind häufiger zufrieden mit der Demokratie und den politischen Einflussmöglichkeiten“, betont Caspar. Deshalb muss sich die Landesregierung auch im Bund für die Stärkung der Mitbestimmung stark machen – etwa für mehr wirtschaftliche Mitbestimmung und eine Fördermittelvergabe, die an Mitbestimmung geknüpft ist.

Für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ist nicht zuletzt auch die politische Kommunikation maßgebend – bei allen demokratischen Parteien und Institutionen. Jörg Caspar: „Wir brauchen dringend eine bessere Kommunikation. Neiddebatten unter den Ärmsten und der Mittelschicht sorgen dafür, dass die Solidarität in unserer Gesellschaft schwindet, und schaden damit der Demokratie nachhaltig.“

www.arbeitskammer.de/jahresbericht2024

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