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Aus der Praxis II
                             „Es geht nicht nur um mehr Geld“



                             ARBEITSZEIT  Betriebsrat erkämpfte bei den SHG-Kliniken neue Arbeitszeitgestaltung

                             Mit seiner Betriebsvereinbarung   den-Zuschlag für die Schicht. Die   tung diese Vergünstigungen her-
                             zu Arbeitszeiten in der Pflege   angesammelten Stunden können   vor und sagt dann auch, dass der
                             hat der Betriebsrat der SHG-Kli-  dann für freie  Tage eingefordert   Betriebsrat sie erreicht hat.“
                             niken Sonnenberg den zweiten   werden – in denen man dann üb-  Für die gelernte Arzthelferin ist
                             Platz bei der Mitbestimmungs-  licherweise nicht  wieder zur  Ar-  es wichtig, dass sich beide Seiten
                             messe Saar erzielt. Die Vorsit-  beit gerufen wird.       „nicht spinnefeind“ sind: „Unser
                             zenden sind überzeugt: Von der   „Die Kollegen können jetzt ihre   Weg funktioniert sehr gut.“ Die
                             innovativen Regelung profitie-  freie  Zeit  viel  flexibler  planen“,   Zeiten, dass sich Betriebsrat und
                             ren sowohl die Kollegen als   meint  Björn  Riehm  (34),  der  seit   Arbeitgeber frontal gegenüber-
                             auch das Unternehmen.        fünf Jahren im Betriebsrat ist und   standen, seien vorbei – zwangs-
                                                          seit Dezember  vom Stellvertre-  läufig.  „Wir  können  für  so  etwas
                             Von Katja Sponholz           tenden Vorsitzenden zum Vorsit-  keine  Ressourcen  mehr  ver-
                                                          zenden  wechselte. Natürlich sei   schwenden, sondern müssen ge-
                             „Holen aus dem Frei“. Jeder in der   auch  eine  finanzielle  Anerken-  meinsam gucken, wie stellen wir
                             Pflege  weiß  aus  eigener  Erfah-  nung  wichtig. „Vor allem aber   uns gut nach außen dar.“
                             rung,  was das bedeutet: Dass   merken wir, dass es den Leuten   Betriebsratsarbeit versteht  sie
                             man sich eigentlich auf einen Tag   nicht nur um mehr Geld geht,   daher auch darin, ein Bindeglied
                             zuhause gefreut hat – und dann                            zu sein: „Damit die Leute nicht mit
                             das Telefon klingelt und der Chef   Gutes Argument im Kampf   allem unzufrieden sind und  wir
                             oder die Chefin fragt: „Kannst du   um Fachkräfte         auch umgekehrt den Arbeitgeber
                             kommen?“  Wer dann spontan                                darin unterstützen, Mitarbeiter zu
                             mal wieder einspringt, wird dop-  sondern um ihre Freizeitgestal-  finden.“ An erster Stelle stehen je-
                             pelt „bestraft“. Weil nicht nur der   tung. Da haben sie nun eine ganz   doch die Kolleginnen und Kolle-
                             ersehnte freie Tag flachfällt, son-  andere Möglichkeit als früher,   gen, ganz gleich, mit  welchen
                             dern  die  Arbeit  außer  der  Reihe   dass sie die Stunden selbstbe-  Anliegen sie zum Betriebsrat
                             noch nicht mal irgendwelche Ver-  stimmt abbauen können“, erklärt   kommen. Die Interessen der ins-
                             günstigungen bringt.         Riehm.                       gesamt 1400 Mitarbeiter werden
                              Genau an dieser Stelle setzte   Und das sei ein Pfund, mit dem   von  15  Betriebsratsmitgliedern
                             der Betriebsrat der SHG-Kliniken   man auch als Unternehmen bei   vertreten, darunter drei  Vollzeit-
                             Sonnenberg  an:  Er  schloss  2021   der Suche nach den dringend be-  stellen.  „Jeder  Tag  ist neu,  man
                             mit dem  Arbeitgeber eine Be-  nötigten  Pflegekräften  wuchern   weiß nie, was passiert“, sagt Björn
                             triebsvereinbarung ab, die nicht   könne: „Für das Recruiting ist das   Riehm  und  ergänzt:  „Aber  ich
                             nur  einen  flexiblen  Ausgleich  in   ganz viel wert“, weiß der Gesund-  denke mir jedes Mal: Wie kann ich
                             Freizeit ermöglicht, sondern auch   heits- und Krankenpfleger. Seine   das Beste für die Kollegen her-
                             mehr Wertschätzung in Form von   Stellvertreterin Iris Spanier-Die-  ausholen und ihnen helfen.“ Aber
                             Geld und Zeitguthaben beinhal-  mann (60), die ab 2015 Betriebs-  nicht erst, seit er 2018 zum Son-
                             tet.  Konkret  erhalten  die  knapp   ratsvorsitzende  war, freut sich   nenberg wechselte,  engagiert
                             500  Pflegekräfte  für  jedes  Ein-  auch über die Anerkennung des   sich Riehm für die Beschäftigten
                             springen 100 Minuten auf ihr Frei-  Unternehmens für diese  Verein-  im  Unternehmen:  Schon  mit  24,
                             zeitkonto gutgeschrieben plus   barung: „Bei Vorstellungsgesprä-  als er noch im städtischen Klini-
                             prozentual  einen  Überstun-  chen  hebt  die  Pflegedienstlei-  kum Neunkirchen arbeitete,  war
                                                                                       er im Betriebsrat aktiv. Dazu ge-
                                                                                       bracht hätten ihn die die anderen
                                                                                       Mitarbeiter: „Sie meinten, ich
                                                                                       könnte mich immer gut für sie
                                                                                       einsetzen. Deshalb hatten sie
                                                                                       mich  aufgefordert, zu kandidie-
                                                                                       ren.“ Vielleicht habe dies auch da-
                                                                                       mit zusammengehangen, dass er
                                                                                       in der Lage sei, für viele Situatio-
                                                                                       nen eine große Empathie zu ent-
                                                                                       wickeln  und  versuche, immer
                              Foto: Pasquale D‘Angiolillo                              gium umzugehen. Und nicht zu-
                                                                                       „sehr feinfühlig“ mit dem Kolle-
                                                                                       letzt spielten wohl auch familiäre
                                                                                       Wurzeln eine Rolle. „Der Gerech-
                                                                                       tigkeitssinn  ist  mir  in  die Wiege
                                                                                       gelegt worden“, sagt Björn Riehm
                                                                                       lächelnd.  Schon  sein  Vater  sei
                             Vertreter des Betriebsrats der SHG-Kliniken bei der Preisverleihung   Betriebsratsvorsitzender  im
                             auf der Mitbestimmungsmesse Saar 2023.                    Bergbau gewesen.


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