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Titelthema
Um die Arbeitszeitverkürzung
ranken sich viele Mythen
UMSETZUNG Argumente gegen Arbeitszeitverkürzung entsprechen nicht immer den Fakten
In der Geschichte der Arbeiterbe-
wegung sind Kämpfe um Zeit die
am härtesten und erbittertsten
geführten Arbeitskämpfe
überhaupt. Einige Gegenargu-
mente (oder auch „Mythen“)
tauchen im Streit um kürzere
Arbeitszeiten immer wieder auf.
Zeit für eine kritische Auseinan-
dersetzung.
Von Frederik Moser
Mythos 1: Arbeitszeitverkürzung
kostet uns Wohlstand Dass eine Arbeitszeitverkürzung den Fachkräftemangel verschärft,
Die historische Entwicklung zeigt ist vielmehr Mythos denn Fakt.
genau das Gegenteil. Obwohl die
Arbeitszeiten stetig verkürzt wur- ringern, weil viele Krankheiten Mythos 3: Arbeitszeitverkürzung
den (von ehemals etwa 70 Wo- und Unfälle während und auch ist nicht finanzierbar
chenstunden sukzessive auf 48, durch die Arbeit beziehungsweise Arbeitszeitverkürzung ist durch
dann anschließend auf 40 und durch lange Arbeitszeiten entste- die enormen Produktivitätsstei-
teilweise sogar auf 35), ist unser hen (insbesondere Burnouts). gerungen aufgrund des techno-
materieller Wohlstand enorm an- Zum anderen können kürzere Ar- logischen Fortschrittes finanzier-
gestiegen. Daten der OECD zei- beitszeiten dazu beitragen, dass bar – und das sogar mit vollem
gen sogar, dass Länder mit kur- Fachkräfte länger im Erwerbsle- Lohnausgleich und gleichblei-
zen Arbeitszeiten im Durchschnitt ben verbleiben. Viele Beschäf- bender Gewinnquote für Unter-
wohlhabender sind als andere (je tigte gehen früher in Rente, weil nehmen, wie Berechnungen zei-
höher das Pro-Kopf Einkommen, körperliche oder psychische Be- gen . In den letzten Jahrzehnten
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desto kürzer ist die durchschnitt- lastungen durch die Beanspru- kamen Produktivitätssteigerun-
liche Wochenarbeitszeit). In ent- chung im Job nicht bis zur Regel- gen aber überproportional den
wickelten Volkswirtschaften zei- altersgrenze durchzuhalten sind, Arbeitgebern in Form immer hö-
gen Untersuchungen außerdem, oder schlicht auch deswegen, herer Gewinne zugute. Beschäf-
dass Faktoren wie „Zeitwohlstand“ weil der Wunsch nach mehr freier tigte müssen dafür kämpfen, dass
für die Zufriedenheit der Men- Zeit besteht. sich der technologische Fort-
schen bedeutsamer sind, als im- Letzten Endes würde sich schritt zukünftig in freie Zeit über-
mer mehr Konsum beziehungs- durch eine allgemeine Arbeits- setzt. Teilweise finanziert sich Ar-
weise die fortlaufende Steigerung zeitverkürzung auch die Praxis beitszeitverkürzung sogar selbst:
materieller Besitztümer. Mehr der gesellschaftlichen Fürsorge- Studien zeigen, dass Unterneh-
freie Zeit wäre für die Gesellschaft arbeit ändern. So könnte zum Bei- men mit kurzen Arbeitszeiten Pro-
daher sogar ein Wohlstandshebel spiel die Kinderbetreuung wieder duktivitätsgewinne erzielen, weil
und ökologisch überaus sinnvoll. mehr in den Mittelpunkt der Fami- Mitarbeiter motivierter und zufrie-
lie rücken. In Kitas wären dann dener an die Arbeit gehen und
Mythos 2: Arbeitszeitverkürzung weniger Randzeiten abzudecken, Arbeitsprozesse neu aufgestellt
verschärft den Fachkräfteman- was den Fachkräftemangel dort werden. Zudem würde die Staats-
gel entschärft. kasse in vielerlei Hinsicht entlas-
Der Fachkräftemangel in Unter- In der Summe gibt es daher tet: Durch kürzere Arbeitszeiten
nehmen ist oft hausgemacht und viele Effekte, die dem Fachkräfte- verbessert sich die Gesundheit
entsteht durch schlechte Arbeits- mangel sogar entgegenwirken! der Beschäftigten, wodurch das
und Ausbildungsbedingungen. Zu beachten ist außerdem, dass Gesundheits- und Pflegesystem
Unternehmen mit kurzen Arbeits- viele Fachkräfte sowieso bereits entlastet wird. Gleichzeitig wer-
zeiten gewinnen hingegen stark in Teilzeit arbeiten (insbesondere den die Rentenkassen geschont,
an Attraktivität, denn die Länge in der Pflege), dafür aber Lohnein- weil Frühverrentungen abneh- 1 Bontrup, H.J.
des Arbeitstages wird als Aus- bußen in Kauf nehmen. Eine kurze men und Erwerbstätige länger im und Massarrat,
wahlkriterium bei der Jobsuche Vollzeit als neue Norm würde sich Erwerbsleben verbleiben. Auch M.: Arbeitszeit-
immer wichtiger. Es kann zudem für Teilzeitkräfte daher nicht in ei- können durch die Verkürzung verkürzung
angenommen werden, dass kür- ner reinen Arbeitszeitverkürzung neue Jobs entstehen, wodurch jetzt! 30-Stun-
zere Arbeitszeiten zum einen die äußern, sondern mehr Geld im die Arbeitslosigkeit sinkt und das den-Woche
Ausfallquote von Fachkräften ver- Portemonnaie bedeuten. Sozialsystem entlastet wird. fordern!
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