Page 6 - AK-Konkret: 6 | 2023 | AK-SPEZIAL „Leben und Freizeit“

Titelthema
Die Saar-Wirtschaft leidet –

neue Krisen sind zu erwarten

RÜCK- UND AUSBLICK Einordnung der aktuellen Wirtschaftsentwicklung

Energiekrise, Schuldenkrise, schlechter als im Bund (siehe Gra- von der auch viele Arbeitsplätze in
Klimakrise, „Migrationskrise“ – fik), seit Jahren findet sich das anderen Wirtschaftsbereichen ab-
Krieg, Pandemie, Inflation, soziale Saarland im Bundesländerver- hängig sind – auch wenn der Anteil
Spaltung. Die nächste Rezession gleich auf einem der letzten Plätze. an der Wertschöpfung in den ver-
steht bevor. Die Vielzahl an unter- Auch in diesem Jahr zeigen die gangenen Jahren deutlich abge-
schiedlichen Herausforderungen gängigen Indikatoren eine deutli- nommen hat (2014: 27,7 %, 2022:
wird die Krisensituation an der che Verkühlung an: Das BIP ist im 21,7 %) und die Beschäftigung seit
Saar, die in Zusammenhang mit ersten Halbjahr im Saarland um 2014 um über 10.000 Arbeits-
den enormen Transformations- 0,4 Prozent gesunken (Bund: -0,3 plätze zurückgegangen ist (-10,2
prozessen der vorherrschenden %), die sozialversicherungspflich- %). Neben dem schwächelnden
Produktionsweise steht, voraus- tige Beschäftigung stagniert im saarländischen „Herz aus Stahl“
sichtlich weiter verschärfen. bisherigen Jahresverlauf (bis Sep- (-21 % bzw. 2.300 Arbeitsplätze),
tember : +0,1 %, Bund: +0,8 %), die kann auch die Kfz-Industrie als Le-
Von Jonas Boos Arbeitslosigkeit ist zeitgleich um bensader immer weniger Men-
8,7 Prozent bzw. knapp 2.900 Per- schen mit guter Arbeit und siche-
„Kranker Mann Europas“ – nach sonen gestiegen (Bund: +8,1 %). rem Einkommen versorgen (-18,2
knapp 25 Jahren wurde Deutsch- Vor allem leidet die saarländi- % bzw. -5.000 Arbeitsplätze).
land in diesem Jahr erneut dieser sche Industrie: Die Produktion im An diesen beiden Schlüsselin-
bedenkliche Titel zugeschrieben. Verarbeitenden Gewerbe ist in den dustrien wird deutlich, dass die ak-
Die Diagnose stellte das internati- ersten drei Quartalen 2023 rück- tuellen Infektionsherde zeitlich auf
onale Wirtschaftsmagazin „The ein strukturell schwächelndes Im-
Economist“ und sie beruht auf der Strukturelle Schwächen munsystem an der Saar treffen.
schwachen Wirtschaftsleistung Seit Jahren kämpft die saarländi-
Deutschlands: Voraussichtlich wird läufig (-3,0 %), die Auftragseingän- sche Industrie mit enormen Her-
das Bruttoinlandsprodukt (BIP, ge sind sogar um 5,4 Prozent ge- ausforderungen: geopolitische
preisbereinigt) 2023 um zirka 0,5 genüber dem Vorjahr gesunken. Unsicherheiten und Kostendruck
Prozent schrumpfen, auch 2024 Dabei gilt die Industrie nach wie durch ausländische Standorte,
wird die BRD noch zu den wachs- vor als überlebenswichtiges Or- Überkapazitäten auf dem Welt-
tumsschwächsten Ländern gehö- gan der Saar-Wirtschaft. Aus Pers- markt und Abhängigkeiten von
ren. Bricht man dieses Bild nun auf pektive von Arbeitnehmervertre- Rohstofflieferungen, Digitalisie-
das Saarland runter, könnte man tungen ist klar, dass das Saarland rung und Automatisierung, neue
die saarländische Wirtschaft wohl weiterhin auf seine gut organi- Wettbewerber und veränderte
als chronisch krank bezeichnen – sierte und stark tarifgebundene Kompetenzanforderungen, feh-
seit Jahren verläuft die wirtschaft- und damit in der Regel gut ent- lende Unternehmenszentralen
liche Entwicklung hierzulande lohnte Industrie angewiesen ist, und häufig Eindimensionalität statt
breiter Produktpalette sowie De-
karbonisierung und notwendige
Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes 2015 bis 1. Halbjahr 2023 klimapolitische Umstellungen in
(preisbereinigt, verkettet) der Produktion. Die damit einher-
Index (2015 = 100) gehenden Unsicherheiten fanden
im Laufe des Jahres in Betriebs-
110 Bund versammlungen bei (noch) be-
schäftigungsstarken Industrieun-
Saar ternehmen im Saarland wie ZF,
105 Michelin, Bosch oder Ford ihren
Ausdruck, in denen es um die Zu-
kunft der Werke ging. Konkrete
100 Zusagen über die Standorte und
die langfristige Beschäftigungssi-
cherheit blieben weitgehend aus.
95
Im Gegenteil herrscht zuneh-
mende Sorge über einen enormen
90 Arbeitsplatzabbau in vielen Indus-
trieunternehmen in den kommen-
2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 1. Halb- den Jahren.
jahr 2023 Zu diesen Erschwernissen ka-
men im zweiten Halbjahr 2023 vor
Quelle: Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ Grafik: Arbeitskammer
allem dämpfende Effekte aus dem

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