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Politik + Wirtschaft

        mögen haben sich gelohnt. Am 9.   gewesen. Das Gericht befand je-  doch viele Fragen offen: die Frage
        Oktober  2023  verurteilte  das   doch, dass Peter S. sich des Mor-  nach  möglichen  weiteren  Mittä-
        Oberlandesgericht Koblenz Peter   des an Samuel Yeboah sowie des   tern  oder  Mitwissern  etwa.  Oder
        S.  zu  einer  Haftstrafe  von  sechs   versuchten  zwölffachen  Mordes   die  Frage  nach  den  zahlreichen
        Jahren und zehn Monaten wegen   und  schwerer  Brandstiftung  weiteren Brand- und Sprengstoff-
        Mordes  und  zwölffachen  ver-  schuldig gamcht hatte.     anschlägen in und um Saarlouis in
        suchten Mordes. Das Gericht sah   Einige  Beobachter  bewerteten   den 1990ern, nach einem Zusam-
        es als erwiesen an, dass sich die   das  Urteil von  sechs Jahren  und   menhang zur hier  verfahrensge-
        Geschehnisse in der Tatnacht wie   zehn Monaten Haft als zu milde.   genständlichen Tat. Die Frage da-
        eingangs beschrieben abgespielt   Doch Röder erklärt: „Ich hatte früh   nach, ob man nicht eigentlich Er-
        hatten. Ein entscheidendes Ereig-  gesagt, dass es letztlich egal ist,   mittlungen zu einer möglichen
        nis auf dem Weg zur Aufklärung   ob  er  überhaupt  verurteilt  wird.   terroristischen Vereinigung  im
        des  Falls  trug  sich  dabei  bereits   Der Prozess ist ein riesiger Erfolg.   Sinne des § 129a StGB hätte füh-
        im Jahr 2007 zu. Auf einer priva-  Weil die Szene aufgescheucht   ren müssen, die diese Anschläge
        ten  Grillparty  traf  die  spätere   wurde und weil der Staat Flagge   begangen  hat.  All  das  wird  sich
        Hauptbelastungszeugin  Diana  K.   gezeigt hat.“ Mit der Verurteilung   wohl nicht mehr aufklären lassen,
        den Täter Peter S. Dort soll dieser   von Peter S. ist der juristische Pro-  damals unterlassene Ermittlungs-
        mit den Worten „Das war ich und   zess  abgeschlossen.  Der  politi-  tätigkeiten lassen sich auch  von
        sie haben mich nie erwischt“, den   sche  Prozess,  so  Röder,  sei  hin-  den sorgfältigen und gewissen-
        Anschlag  auf  die  Asylunterkunft   gegen noch lange nicht beendet.   haften Ermittlern, die die hier an-
        gestanden  haben.  Es  vergingen   Im Zuge des Prozesses in Koblenz   geklagte  Tat  aufgeklärt  haben,
        allerdings weitere zwölf Jahre bis   hat der saarländische Landtag ei-  nicht mehr nachholen.“
        sich Diana K. bei der Polizei mel-  nen  Untersuchungsausschuss  Die Aktion 3. Welt Saar, die Antifa
        dete. Ihrer Aussage nach habe sie   eingesetzt, der die Versäumnisse   Saar  und  der  Saarländische
        im Oktober 2019 einen Artikel ge-  der  Polizei  sowie  die  Rolle  des   Flüchtlingsrat fordern zudem das
        lesen und sei sich im Zuge des-  Verfassungsschutzes und der   Anbringen  einer  Gedenktafel  für
        sen erst der Tragweite des Falles                          Samuel  Yeboah am Saarlouiser
        bewusst  geworden.  Die  Polizei      Es bleiben           Rathaus.  Eine  in  Sandstein  ge-
        hielt Diana K. für glaubwürdig. Da-  viele Fragen offen    hauene Gedenktafel mit der In-
        nach  überschlugen  sich  die  Er-                         schrift  „In  Erinnerung  an  Samuel
        eignisse. Der Fall wurde nochmal   saarländischen Politik nach dem   Yeboah, Flüchtling aus Ghana. Am
        aufgerollt und nach intensiver Er-  verheerenden Brandanschlag er-  19.9.1991 durch einen rassistischen
        mittlungsarbeit  am  Oberlandes-  gründen soll. Röder begrüßt den   Brandanschlag in Saarlouis ermor-
        gericht in Koblenz verhandelt.   Untersuchungsausschuss, fordert   det“ gibt es bereits seit 2001. Die
          Röder  hat  den  gesamten  Pro-  aber darüber hinaus: „Wir wollen   Tafel wurde  zum  zehnten Todes-
        zess  mit  der Aktion  3. Welt  Saar   eine vollständige Offenlegung al-  tag  Yeboahs am Rathaus ange-
        begleitet. Er und einige seiner Mit-  ler Akten der Polizei und des Ver-  bracht,  allerdings  von  der  Stadt-
        streiter sind über 16.000 Kilome-  fassungsschutzes,  damit  man   verwaltung  umgehend  wieder
        ter gefahren, um an allen 48 Pro-  sich unabhängig ein Bild über die   entfernt.  Laut  Röder  wollte  die
        zesstagen  in  Koblenz  vor  Ort  zu   damaligen Vorgänge  machen   Stadt Saarlouis nie in einem Atem-
        sein. Viele Zeugen zeichneten vor   kann,“ Dass nach wie vor viele Fra-  zug  mit  Hoyerswerda,  Rostock
        Gericht ein höchst gewaltbereites   gen  offen  sind,  befand  auch  der   Lichtenhagen, Mölln und Solingen
        und zutiefst nationalsozialisti-  Anwalt  der  Nebenanklage  Björn   genannt   werden.   Mittlerweile
        sches  Bild  der  damaligen  Elberling  in  seinem  Schlussplä-  wolle die Stadt offiziell an die Opfer
        Saarlouiser  Skinhead-Szene.  Die   doyer.  Dort  hieß  es:  „Aber  auch   des  Anschlags  erinnern,  ver-
        Polizei, so Röder, habe die Rechts-  wenn eindeutig erwiesen ist, dass   schweige aber ihr eigenes Nichts-
        extremisten um Szeneboss Peter   der  hier  Angeklagte  [...]  als  Täter   tun, ihre 30 Jahre lang anhaltende
        St. und den nun verurteilten Peter   dieser Tat überführt ist, so bleiben   Verharmlosung des Falls.
        S. eher als unpolitische Jugendli-
        che mit schwerer Kindheit gese-
        hen,  die  hin  und  wieder  zu  viel
        tranken.
          Für  den  25.  Prozesstag,  am  9.
        Mai  2023,  kündigte  Peter  S.  ein
        Geständnis  an.  Tatsächlich  be-
        schuldigte er aber seinen ehema-
        ligen Weggefährten Heiko S. der
        Tat.  Dieser  hatte  zur  Tatzeit  zum
        Kern der Saarlouiser Naziszene
        gehört,  stieg  jedoch  nach  eige-                                                  Foto: Aktion 3. Welt Saar
        nen  Angaben  Mitte  der  1990er
        Jahre aus. Gleichzeitig sprach Pe-
        ter  S.  den  damaligen  Szeneboss
        Peter  St.  von  jeglicher  Mittäter-  Die Aktion  3. Welt  Saar,  der  Saarländische  Flüchtlingsrat  und  die
        schaft  frei.  Er  selbst,  so  Peter  S.,   Antifa Saar erinnerten jahrzehntelang mit verschiedenen Aktionen
        sei nur passiv an der Tat beteiligt   an den rassistischen Brandanschlag 1991 in Saarlouis.

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