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Titelthema zur Krise
        Der Verteilungskampf sollte


        endlich „von unten“ stattfinden



        PROTESTE  Gemeinsam mit den Gewerkschaften für Veränderungen kämpfen

        Massiv steigende Nahrungsmit-  senkosten sozial zu begrenzen.   Rolle einnehmen. Passend, dass
        tel-, Strom- und Gaspreise   Auch  wurde dort eine Überge-  die entscheidende Phase der Me-
        bringen immer mehr Menschen   winnsteuer verabschiedet,  über   tall-Tarifrunde  unter  dem  Motto
        an ihre finanziellen Grenzen. In   die in den kommenden zwei Jah-  „Solidarität gewinnt!“ in den Be-
        Deutschland hat es Tradition,   ren ausschließlich Sozialausgaben   ginn der Heizperiode fällt. Anknüp-
        dass in Krisenzeiten die Lohnab-  finanziert werden sollen.    fend an die Unterschriften-Kam-
        hängigen zurückstecken müssen   Auch hierzulande formieren sich   pagne der IG Metall „Krisenge-
        – ganz zu schweigen von      erste Bündnisse für Sozialproteste.   winne  abschöpfen  –  Kosten  de-
        Arbeitslosen und vielen Rentnern   Bereits  im  Juni  bildete  sich  ein   ckeln!“, hat die Gewerkschaft mit
        und Rentnerinnen. Können die   Bündnis  gegen  Preiserhöhung  in   ihrem hohen Organisierungsgrad
        Gewerkschaften in den kommen-  Bremen, das Kundgebungen, Ver-  und ihrer Kampferfahrung die bes-
        den Tarifrunden angemessene   sammlungen und Flugblattaktio-  ten Möglichkeiten, Proteste gegen
        Antworten geben und mit ihren   nen organisiert. Im September   die steigenden Preise zu unter-
        erwartbaren Warnstreiks ein   startet die bundesweite Kampa-  stützen und sie sogar mit ihrer ei-
        Treiber einer breiteren sozialen   gne „Genug ist Genug!“ (G!G) nach   genen  Tarifbewegung  zu  verbin-
        Protestbewegung sein?        dem  Vorbild  von „Enough is   den.
                                     Enough“ aus Großbritannien – dort   Verschiedene   Möglichkeiten,
        Von Jonas Boos               ist es gelungen, tausende Bürge-  berechtigte Sorgen und Zorn auf
                                     rinnen und Bürger, Gewerkschaf-  die Straße zu tragen, sind also vor-
        Die Voraussetzungen für gewerk-                            handen. Statt sich die Kosten der
        schaftliche Kämpfe sind eigentlich   Rechte Krisenlösungen   Krise auf individueller Ebene auf-
        nicht schlecht: zwei Jahre Lohnzu-  zurückdrängen          bürden zu lassen, gilt es, sich an
        rückhaltung während der Pande-                             den Protesten zu beteiligen, sich in   Wer an den
        mie, drastisch steigende Lebens-  ter und Aktivistinnen auf die Straße   Bündnissen oder in Gewerkschaf-  sozialen
        haltungskosten und gleichzeitig   zu bringen, um die Regierung und   ten zu organisieren, um gemein-  Verhältnissen
        sucht die deutsche  Wirtschaft in   Profiteure  unter  Druck  zu  setzen.   sam für gesamtgesellschaftliche   etwas ändern
        fast allen Branchen nach Arbeits-  Auch im Saarland gründete sich   Veränderungen zu kämpfen. Die   möchte, sollte
        kräften. Kein  Wunder  also, dass   ein regionaler  Ableger  von „G!G“.   Gewerkschaften und andere pro-  an von demo-
        sich Arbeitgeberverbände  und   Zudem rief ver.di für den 29. Sep-  gressive Kräfte haben dabei eine   kratischen
        unternehmernahe   Ökonomen   tember zur Bildung eines „breiten   reale Chance, ihrer gesellschafts-  Bündnissen
        entsprechend in Stellung bringen   gesellschaftlichen Bündnis der   politischen Verantwortung  ge-  oder Gewerk-
        und zur Zurückhaltung bei Forde-  Saarländerinnen und Saarländer   recht zu  werden und sinnvoll zu   schaften
        rungen  nach  Lohnerhöhungen   für  Entlastung“  auf  (siehe  Seite  7).   Sozialprotesten  beizutragen  –  organisierten
        mahnen. Die Lohnabhängigen sol-  Die Gewerkschaften sollten bei   auch  um  rechte  Krisenlösungen   Protesten
        len die schwierige wirtschaftliche   den Sozialprotesten eine zentrale   zurückzudrängen.   teilnehmen.
        Gesamtsituation berücksichtigen
        und „den Gürtel enger schnallen“
        beziehungsweise die Heizung he-
        runterdrehen und Wohlstandsver-
        luste hinnehmen.  Während die
        Preissteigerungen auf sie abge-
        wälzt werden sollen, bleiben poli-
        tische und mediale  Appelle an
        Unternehmen, auf Gewinn zu ver-
        zichten  weitgehend  aus  (dieses
        Jahr  werden  die  Dividendenaus-
        zahlungen bei den 40 Dax-Unter-
        nehmen mit  voraussichtlich über
        50 Milliarden Euro einen Rekord-
        wert erreichen).
          Der Verteilungskonflikt wird der-
        zeit also vor allem „von oben“ ge-
        führt. Doch es geht auch anders.
        So kam es in Spanien bereits im                                                                     Foto: Adobe Stock/wellphoto
        Frühjahr zu heftigen Protesten ge-
        gen die anhaltenden Preissteige-
        rungen. Die spanische Regierung
        bemühte sich  daraufhin, die Kri-

                                                                                        AK-Konkret 5|22  ·  19
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