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Titelthema
                           „Die verspielen meine Zukunft“



                           FRIDAYS FOR FUTURE  Was junge Aktivisten über das Leben im Saarland denken

                           „Wir sind hier, wir sind laut, weil   erzählt Tim. Es sei ja schon gut,   viel gemacht werden, findet Juli,
                           Ihr  uns  die  Zukunft  klaut“  –  so   dass der Stahl-Konzern die Kli-  die sich schon in Freiburg in
                           lautet  eine  der  Parolen,  die   maschutzbewegung mit ins Boot   Bündnissen wie den Fridays, Ex-
                           junge  Leute  bei  den  Klima-  nehmen  will,  aber  die  Transfor-  tinction Rebellion und Ende Ge-
                           schutz-Demos  von  Fridays  for   mation gehe nicht schnell ge-  lände, dem Protest gegen den
                           Future  rufen.  Wie  denken  die   nug.  „Wir  Fridays  fordern,  dass   Braunkohleabbau,  engagierte.
                           Aktivistinnen   und  Aktivisten   das Saarland bis 2035 klimaneu-  Bei jeder Entscheidung, die ge-
                           über  ihre  Zukunft  im  Saarland   tral werden soll und die Dillinger   troffen werde, müsse die Klima-
                           und über die ältere Generation?   versuchen, bis 2045 in die Rich-  krise  mitberücksichtigt werden.
                           Wir haben mit zweien von ihnen   tung zu gehen, vielleicht 90 Pro-  Die Pläne der Stahlhütten über-
                           gesprochen.                   zent ist da das Ziel“. Das sei bes-  zeugen sie nicht. „Das ist auch
                                                         ser als nichts, aber die Politik   nur ein grüner Anstrich“. sagt sie.
                           Von Silvia Buss               müsse mehr Druck machen, fin-  Dass die Politik jahrzehntelang
                                                         det er. Das fehlende Tempo, das   bei Kohle und Gas blieb, die Ab-
                           Tim, 18, gebürtiger Saarbrücker,   sei auch der Haupt-Kritikpunkt   hängigkeit von  Diktatoren ver-
                           studiert an der Saar-Uni im ers-  am Klimaschutzgesetz des Lan-  drängte, und  wie nun in Lütze-
                           ten Semester Physik und hat, als   des. Da heiße es ja, dass die   rath Konzerninteressen wichtiger
                           die  „Fridays“-Aktionen  starteten,   Kommunen bis 2030 ihre Klima-  nähme als das Klima, das macht
                           angefangen,  sich  mit  dem   schutzpläne ausarbeiten und an-  Juli wütend.  „Die verspielen  da
                           Thema Klimawandel zu beschäf-  geben sollen,  welche Maßnah-  meine Zukunft und ich muss mir
                           tigen. Man  wisse ja schon seit   men sie ergreifen wollen. „Es ist   jetzt  ernsthaft Gedanken ma-
                           Jahrzehnten, dass es ihn gebe,   halt  blödsinnig, wenn  man  jetzt   chen, ob ich noch Kinder in die
                           dass er  menschengemacht sei,   noch  sieben Jahre vergehen   Welt setzen soll, wenn ich schon
                           und  welche gravierenden Kon-  lässt und danach erst die Maß-  nicht  ganz  weiß,  wie meine ei-
                           sequenzen er habe. Dann fest-  nahmen beginnen“, sagt Tim.   gene Zukunft unter den Folgen
                           stellen zu müssen, dass trotz-                             der Klimakrise aussieht.“
                           dem jahrzehntelang  nichts ge-  „Hier muss definitiv noch    Dabei  richtet sich  Julis  Wut
                           macht worden  sei,  „das war     viel gemacht werden“      nicht gegen die Generation der
                           schon eine große Enttäuschung“,                            Älteren allgemein. „Ich will nicht
                           sagt er. Deshalb stieg er bei den   „Ich glaube, ich bin ein biss-  alle in einen Topf werfen, bei Fri-
                           Fridays mit ein, fand es gut, zu-  chen radikaler als Tim“, sagt Juli,   days  gehen  auch  viele  Ältere
                           mindest  einmal  im  halben  Jahr   21.  Das  Medizinstudium  führte   mit.“ Zwar ärgere sie sich, wenn
                Hunderte   die  Schule  ausfallen  zu  lassen,   sie vor  eineinhalb Jahren  eher   andere, ob jung oder alt, ohne
                Menschen   um ein Recht auf Zukunft einzu-  zufällig  von Freiburg ins Saar-  Bedenken  für  zwei  Tage  nach
                 haben in   fordern.                     land. „Und ich dachte in Freiburg   Mallorca  flögen,  während  sie
              Saarbrücken    Inzwischen ist er im Organisa-  schon immer, hier ist alles   selbst sich bei jedem Einkauf
             an der Klima-   tionsteam,  war kürzlich mit an-  schlecht ausgebaut, die Fahrrad-  „riesengroße Gedanken“ mache,
                  schutz-   deren Klima- und Umweltakti-  infrastruktur  und  der  öffentliche   ob sie etwas brauche, aber das
                demo von   visten  zu einer Gesprächsrunde   Nahverkehr, und dann kam ich   individuelle Verhalten allein rette
                Fridays for   bei der Dillinger Hütte eingela-  ins  Saarland  und  dachte:  Okay,   die Welt ja nicht. Tim sieht seine
                Future am     den. „Sie haben uns erklärt, wie   ich hatte auch eine  verzerrte   Zukunft im Saarland, weil er hier
               3. März teil-   sie den Umschwung zum grü-  Weltsicht in meiner grünen   ja sein ganzes Leben  verbracht
              genommen.    nen Stahl hinbekommen wollen“,   Blase“. Hier müsse definitiv noch   habe  und  weil die  Familie,  die
                                                                                      Freunde,  alle  die  ihm  wichtig
                                                                                      seien, hier lebten. „Einen  Job
                                                                                      wird  man  schon  irgendwo  fin-
                                                                                      den, auch  wenn man im Saar-
                                                                                      land schlechter bezahlt  wird“,
                                                                                      sagt er. Und durchs Homeoffice
                                                                                      könne man sich ja auch entfernte
                                                                                      Arbeitgeber  aussuchen.  Das
                                                                                      Saarland sei ja ganz schön, sagt
                                                                                      Juli. Aber nur, wenn es den Aus-
                                                                                      bau von ÖPNV und guter Radinf-
                                                                                      rastruktur hinbekomme, könne
                                                                                      sie sich  vorstellen zu bleiben.
                                                                                      „Für mich ist ganz wichtig, dass
                                                                                   Foto: Silvia Buss  ich kein Auto brauche.“ Und als
                                                                                      Ärztin könne sie sich theoretisch
                                                                                      aussuchen, wo sie arbeiten und
                                                                                      leben wolle.


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