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Arbeitswelten
Zwei rechte Hände und
viel Vorstellungskraft
PORTRÄT Bettina Kummrow ist Damengewandmeisterin
Von Katja Sponholz (Text und Foto)
Ihr erstes wichtiges Kleidungsstück hat Bettina Kummrow Freude hatte: Denn angeregt von ihrer Oma, die selbst
schon als Jugendliche hergestellt: Damals nähte sie ihre Schneiderin war, hatte sie nicht nur als Schülerin, sondern
Konfirmationssachen selbst. Heute, gut 40 Jahre später, auch später schon als Studentin immer nebenbei ge-
fertigt sie die Kleidung für die Hochzeit des Figaro oder schneidert – für sich selbst und für Freunde. Auch als Kö-
auch die Tänzerin Carmen an. Denn Bettina Kummrow ist chin hatte sie während des Studiums gejobbt. „Ich habe
Damengewandmeisterin am Staatstheater in Saarbrü- gemerkt, es ist einfach meins, mit den Händen zu arbei-
cken. Das heißt: Sie ist für die praktische Umsetzung der ten!“ Hinzu kam, dass sie bei einem Praktikum von der be-
Entwürfe der Kostümbildner zuständig. Was es für einen sonderen Stimmung am Theater infiziert wurde. Schon
solchen Beruf braucht? „Zwei rechte Hände, am ersten Tag musste sie vor der Premiere
sprich handwerkliches Geschick!“, meint die eines historischen Stückes zig Knöpfe in
55-Jährige, „aber auch logisches Denken und Diese Atmosphäre, höchster Eile annähen. „Diese Atmosphäre,
räumliches Vorstellungsvermögen.“ Denn als dass man sagt, dass man sagt, wir schaffen das zusammen –
Gewandmeisterin muss man sich die Kos- wir schaffen das das fand ich einfach toll!“
tüme nicht selbst ausdenken, sondern das zusammen –
Realität werden lassen, was die Kostümbild- das fand ich Heute allerdings wäre sie froh, wenn es auch
ner sich vorstellen. „Deshalb muss man auch einfach toll. mal etwas geruhsamer zugehen würde. Denn
gut im Team arbeiten und sich in die Ideen da hat sie Verantwortung und muss einen ge-
reinfühlen können“, sagt Kummrow. Denn nauen Überblick haben, wie die Kostüme bis
nicht immer gibt es komplette Figurinen – zur Premiere überhaupt zu schaffen sind. „Da-
also gezeichnete oder modellierte Kostüm- für braucht es eine richtige Zeitkalkulation,
entwürfe – sondern manchmal auch nur „ein dass ich weiß, wie viele Werkstattstunden mir
Sammelsurium“ aus Fotos. „Da heißt es dann: zur Verfügung stehen“, schildert sie. Wenn
‚Der Kragen soll wie da sein und das Hosenbein wie hier‘ dann noch krankheitsbedingt Personal ausfällt, bleibt die
– und ich muss mir das irgendwie dann als Ganzes vor- Freude am Job manchmal auf der Strecke. Deshalb muss
stellen können“, schildert sie. sie auch nicht lange überlegen, wenn sie gefragt wird,
was sie sich für ihre Tätigkeit in der Zukunft wünscht: „We-
Grundlage für ihre Tätigkeit am Staatstheater ist jedoch niger Zeitdruck und mehr Muße für einzelne Kostüme!“
auch die entsprechende handwerkliche Ausbildung: So
lernte Bettina Kummrow zunächst Damenschneiderin am Genauso schnell fällt auch ihre Antwort auf die Frage, was
Staatstheater in Kassel, arbeitete dann drei Jahre am denn das Schönste an ihrem Beruf sei: „Dass er so kreativ
Stadttheater in Hildesheim und danach zwei Jahre an der ist! Bis auf ein paar schlichte Röcke und Hosen hatte ich
Oper in Hannover. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass noch kein Kostüm, dass ich doppelt machen musste.“
ich da nichts mehr dazulernen kann“, sagt sie. So absol-
vierte sie noch zwei Jahre an der Gewandmeisterschule in
Hamburg. Nach einem Jahr in Münster bewarb sie sich
schließlich erfolgreich für das Staatstheater in Saarbrü-
cken und durfte schon beim Vorstellungstermin die HINTERGRUND
Werkstätten und den Fundus anschauen. „Da habe ich
schon einen Unterschied zwischen Stadt- und Staatsthe- Eine Ausbildung zum Gewandmeister/
ater gemerkt“, blickt sie zurück. „Hier gibt es nicht nur ein zur Gewandmeisterin kann man derzeit
ganz anderes Budget, sondern auch ganz andere Mög- nur an drei Fach- bzw. Hochschulen
lichkeiten, die sich an der Qualität bemerkbar machen.“ absolvieren (Hamburg, Dresden, Leipzig).
Deshalb freute sie sich auch, dass sie den Job bekam –
auch wenn er so weit von ihrem Heimatort Lübeck ent- Laut Deutschem Bühnenverein wird für
fernt war. „Ich dachte mir, ich bleibe mal so für fünf Jahre“, die Zulassung eine abgeschlossene
erzählt Kummrow lächelnd. „Daraus sind mittlerweile Ausbildung zum Schneider vorausgesetzt,
schon 21 geworden!“ eine zweijährige Berufserfahrung und ein
mittlerer Bildungsabschluss. Weitere Infos
Doch so gerade und zielstrebig wie seit ihrer Ausbildung zu den Voraussetzungen: www.buehnen-
zur Schneiderin war ihr Berufsweg am Anfang gar nicht. verein.de
Denn eigentlich hatte sie zunächst Romanistik, Ge-
schichte und Kunstwissenschaft in Kassel studiert. Ir- Laut Internet-Portal gehalt. de liegt das
gendwann merkte sie jedoch, dass sie gar keine Lust monatliche Einstiegsgehalt durchschnitt-
mehr auf Schule und Uni hatte. Deshalb überlegte sie, tat- lich bei 2.338 Euro brutto. ks
sächlich das zum Beruf zu machen, an dem sie wirklich
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