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Arbeitswelten
„Mit Angst darf man nie
in den Einsatz gehen“
PORTRÄT Marina Nikolay ist Polizeioberkommissarin
Von Katja Sponholz (Text) und Pasquale D‘Angiolillo (Foto)
Es gibt wohl keinen Beruf, der momentan so sehr im Schließlich war auch ihr Vater damals bei der Polizei,
Fokus steht, wie dieser. Seit den Polizisten-Morden von und auch ihr jüngerer Bruder entschied sich für diesen
Kusel ist einmal mehr deutlich geworden, wie gefähr- Weg. Nach wie vor würde sie diesen Beruf jedem, der
lich die Arbeit von Polizeibeamtinnen und -beamten ist. sie danach fragt, empfehlen: „Einfach, weil er sehr inte-
„Man fährt raus, und weiß nicht, was passiert“, sagt Poli- ressant und sehr spannend ist, und auch, weil man ver-
zeioberkommissarin Marina Nikolay nachdenklich. Das beamtet ist und seine Sicherheit hat.“ Finanziell aller-
sei ihr und wohl auch vielen Kollegen nach diesem bru- dings müsste die Arbeit vor allem im Wach- und Strei-
talen Mord einmal mehr bewusst geworden. „Es hätte fendienst besser honoriert werden: „Einfach schon als
jeden von uns treffen können. Wir hätten genau in die- Anerkennung und mit Blick auf die Gefahren, denen
selbe Situation kommen können und dann genauso man sich aussetzt.“
gehandelt“, sagt die 36-Jährige. Und sie gibt zu: „Man
geht nun mit einem mulmigeren Gefühl in den Einsatz Mit Angst jedoch dürfe man nie in den Einsatz gehen.
als vorher.“ „Dann kann man diesen Beruf nicht ausüben. Da muss
man Profi sein und sich davon freimachen“, meint Ma-
Vor allem, wenn man Mutter und alleinerziehend sei rina Nikolay. Gleiches gilt auch, wenn sie im Dienst res-
wie sie. Deshalb ist sie umso erleichterter darüber, dass pektlos behandelt wird – was heute viel häufiger als
sie vor einigen Monaten vom Wach- und früher vorkomme. Zwar sei sie selbst zum
Streifendienst (WSD) in den Ermittlungs- Vor allem der Glück noch nie verletzt worden, doch die
und Servicedienst an die PI Neunkirchen Zahl der Beleidigungen und Bedrohungen
gewechselt ist. Denn dadurch hat sie nicht Bürgerkontakt, gegenüber Polizisten habe deutlich zuge-
nur geregeltere Arbeitszeiten und keine das war das, nommen. Manchmal habe sie auch Ableh-
Nachtschichten mehr, sondern ist nur noch was ich nung gespürt, weil sie eine Frau ist. „Dann
selten draußen im Einsatz. Etwa bei der Voll- schon immer versucht man, deeskalierend zu wirken und
streckung von Haftbefehlen oder zur Unter- machen wollte. das Gespräch von einem männlichen Kolle-
stützung bei Demos oder Fußballeinsätzen. gen führen zu lassen.“ Doch es gibt auch
Und auch, wenn sie die neuen Arbeitsbe- Grenzen. Einmal seien sie und ein Kollege
dingungen zu schätzen weiß, denkt sie so massiv beleidigt worden, dass sie da-
gerne an ihren alten Job zurück: „Das Strei- nach Anzeige erstattet habe. Unterm Strich
fefahren fehlt mir schon“, gibt sie zu. „Vor al- gebe es vor allem aber viele positive Kon-
lem der Bürgerkontakt, das war das, was ich immer ma- takte mit den Bürgern, die sich auch für ihren Einsatz
chen wollte!“ Auch die Zusammenarbeit im Team habe bedankten. Sicherlich einer der Gründe, warum Marina
große Freude gemacht. Nikolay eines ganz genau weiß, wenn sie an ihre beruf-
liche Zukunft denkt: „Wo ich mal landen werde, kann
Auf der anderen Seite erlebe man im WSD nicht nur ich noch nicht sagen. Aber definitiv bei der Polizei – da
Schönes, sondern auch sehr Belastendes. Tödliche gehe ich nicht mehr weg.“
Verkehrsunfälle etwa, Suizide oder das Überbringen
einer Todesnachricht. Dann sei man froh, sich mit Kolle-
gen austauschen zu können. „Reden hilft. Und die an-
deren können einen verstehen, weil sie die gleichen
Erfahrungen machen.“ Ob sie selbst einmal wieder in HINTERGRUND
den Streifendienst möchte, wenn ihre Töchter (4 und 8)
älter sind, weiß sie nicht. „Ausschließen würde ich es Das Innenministerium stellt einmal im
nicht“, sagt sie, aber die meisten, die in den Tagesdienst Jahr Anwärterinnen und Anwärter für
gewechselt sind, würden danach nicht mehr auf die den gehobenen Polizeivollzugsdienst
Wache zurückkehren. „Es gibt einfach viele Vorteile: ein.
Dass man am Wochenende zuhause ist, der Schlaf-
rhythmus geregelt ist und man wieder mehr am sozia- Nach dem dreijährigen Studium
len Leben teilnehmen kann.“ beginnt die berufliche Laufbahn mit der
Ernennung zur Polizeikommissarin.
Und doch hat sie es noch keinen Moment bereut, die-
sen Beruf gewählt zu habe. Der stand für sie übrigens Das Ausbildungsgehalt beträgt knapp
schon als Kind fest: Erst neulich habe ihr eine Freundin 1.200 Euro brutto monatlich, nach dem
ein altes Freundschaftsbuch gezeigt, in dem Marina als Studium beträgt das Einstiegsgehalt
Berufswunsch „Polizistin“ geschrieben hatte – mit nur derzeit ca. 2.500 Euro brutto. ks
zehn Jahren. Das kam übrigens nicht von ungefähr:
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