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Leben + Freizeit












     Benjamin
      Chait vor
    dem Band
          der
    Erinnerung
        an der                                                                                                   Foto: Iris Maurer
   Saarbrücker
    Synagoge.
              Ein Kosmopolit mit vielen Talenten



              SAARLÄNDISCHE TYPEN  Benjamin Chait ist Kantor der Synagogengemeinde Saar


                Von Benjamin Rannenberg (Text) und Iris Maurer (Foto)  studierte und sang er jeden Tag nach der Schule mit seinem
                                                                  Vater Texte  aus  der Thora.  „Das, was  ich  heute  kann, ver-
              Manchmal führt einen das Leben über Umwege ins Saar-  danke ich meinen Eltern und ihrer Erziehung“, sagt er. Schon
              land. In Liverpool geboren, in Israel im Kibbuz gelebt, in Paris   Chaits Vater und sein Großvater arbeiteten als Kantor und
              studiert und in Saarbrücken Kantor der Synagogenge-  Geistliche der Gemeinde in Liverpool und London, einer sei-
              meinde  Saar  geworden  –  Benjamin  Chaits  Biografie  im   ner Brüder ist Rabbiner und Kantor in Leeds, der andere ne-
              Schnelldurchlauf liest sich wie die Geschichte eines Mannes,   ben  dem  Beruf  „Teilzeit-Kantor“.  Mit  13 Jahren  durfte  er  in
              der die Welt gesehen hat. Nun arbeitet er in der saarländi-  Liverpool in der Synagoge mitsingen und seinem Vater im
              schen Landeshauptstadt und lebt hier zusammen mit seiner   Gottesdienst helfen, drei Jahre später schloss er das Tho-
              Familie, seiner Ehefrau und vier gemeinsamen Kindern. Der   ra-Studium an einer der renommiertesten religiösen Privat-
              42-Jährige ist seit 17 Jahren der Kantor der Synagogenge-  schulen in Manchester ab.
              meinde Saar. Und der gebürtige Brite ist eines der bekann-
              testen Gesichter der jüdischen Gemeinde.            Über zu wenig Aufgaben in der Synagogengemeinde Saar
                                                                  kann der Saarbrücker nicht klagen. Verständlich, denn prak-
              Dabei stand erst einmal überhaupt nicht fest, dass sich Ben-  tisch ist er ja Kantor, Seelsorger und Religionslehrer in einer
              jamin Chait in der saarlandweit einzigen Synagogenge-  Person. So ist Chait für den Gottesdienst in der Synagoge
              meinde als Kantor bewirbt. Auf die Stellenanzeige in einer   verantwortlich, er predigt und singt aus der  Thora, über-
              jüdischen Zeitung war seinerzeit sein jünge-                   nimmt seelsorgerische Aufgaben wie Beerdi-
              rer Bruder angesprungen. Der fragte den  „Die Kinder sind für die   gungen,  spricht  mit  Mitgliedern,  Besuchern
              damals 26-jährigen Chait, ob er ihn zum Be-  Thematik viel mehr   und Interessierten auf Wunsch über religiöse
              werbungsgespräch nach Saarbrücken be-  sensibilisiert als früher“   und andere Fragen, engagiert sich in mehre-
              gleiten möchte. Was er wollte und so reisten                   ren interreligiösen  Arbeitskreisen und leitet
              sie mit dem Auto von Liverpool nach Saar-                      seit  Herbst  2015  den  Religionsunterricht  für
              brücken, wie Chait erzählt. Doch Chaits Bru-                   Kinder und Jugendliche verschiedener Schu-
              der Albert, der in der Synagogengemeinde                       len im Saarland. „Ich glaube nicht nur meine
              Saar hätte anfangen können, meinte zu Benjamin, das sei für   Religionsschüler  wissen,  dass Antisemitismus  und Antiju-
              ihn eine Nummer zu groß. „Für mich war es nicht so ein gro-  daismus existieren. Sie sind viel mehr als die Kinder früher für
              ßer Schritt, wie es für meinen damals 19-jährigen Bruder ge-  die Thematik sensibilisiert“, sagt Chait. Einige Schulen an der
              wesen wäre“, sagt er. Immerhin hatte er zuvor in Israel seinen   Saar seien mit antisemitischen Vorfällen konfrontiert und er
              Wehrdienst absolviert, das moderne Hebräisch, Ivrit, gelernt   wisse, dass das Wort „Jude“ ein Schimpfwort auf dem Schul-
              und parallel dazu eine Thora-Schule besucht, bevor er nach   hof sei. Gelegentlich tauchten Hakenkreuz-Schmierereien in
              Paris ging, um ein Diplom-Studium in Wirtschafts- und Fi-  Schulen auf.
              nanzwissenschaften abzuschließen.
                                                                  Abgesehen davon macht es ihm immer wieder einen „Rie-
              Also bewarb sich Benjamin Chait seinerseits um die freie   senspaß“, Gruppen von Erwachsenen und jungen Menschen
              Stelle in der Saarbrücker Synagogengemeinde – und sein   durch die Synagogengemeinde zu führen. „Die Führungen
              Bruder Albert fuhr zum Vorsingen als „Duett-Begleitung“ mit.   und die interreligiöse Arbeit sind ein Teil von unserer Öffent-
              Um seine Stimme besser auszubilden, studierte er neben   lichkeitsarbeit“, sagt Chait.  Denn die Synagogengemeinde
              seinem Hauptberuf an der Hochschule für Musik Opern-  Saar sei – das betont der Kantor – offen für alle. Und wie der
              gesang – und zwar bei dem aus Israel stammenden Dozen-  Zufall es wollte, kam es, dass Benjamin Chait seiner Ehefrau
              ten  Yaron  Windmüller.  Aufgewachsen in einer religiösen   in der Synagoge über den Weg lief. Und zwar während des
              Großfamilie  mit vier Schwestern  und  zwei  Brüdern, lernte,   achttägigen Pessach-Festes.


              IV  ·  AK-Konkret Spezial 3|23
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