3000 Familien im Saarland, deren pflegebedürftige Angehörige von Betreuungskräften aus Osteuropa versorgt werden, leben in ständiger Rechtsunsicherheit und bekommen bisher für die nötigen Aufwendungen keine Leistungen aus der Pflegeversicherung. Die Politik scheut sich seit Jahren, eine gesetzliche Lösung für diese derzeit unverzichtbare Versorgungssäule für hilfebedürftige Menschen auf den Weg zu bringen. In Deutschland sind in rund 300.000 hilfesuchenden Familien zirka 700.000 Betreuungskräfte, überwiegend aus Polen und anderen osteuropäischen EU-Staaten, im Einsatz. Im Saarland wechseln sich rund 7000 Betreuungskräfte in den betroffenen Familien im Verlauf eines Jahres ab.
Der Sozialverband VdK Saarland und die Arbeitskammer des Saarlandes haben nach mehrjähriger Beobachtung des sich zuspitzenden Problems in einem bundesweit einmaligen Konzept Lösungsvorschläge erarbeitet, um weitestgehende Rechtssicherheit für die im privaten Umfeld eingesetzten Betreuungskräfte und die Familien der Pflegebedürftigen herzustellen und Qualitätsstandards zu etablieren. Darin fordern sie den Bundesgesetzgeber auf, schnellstens einen verbindlichen Rechtsrahmen für die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft (BihG) zu verabschieden.
„Sowohl die Familien von Pflegebedürftigen als auch die Betreuungspersonen leben und arbeiten in rechtlich unsicheren Verhältnissen und damit in ständiger Angst. Die Landesregierung muss umgehend über den Bundesrat die Initiative ergreifen, um auf Bundesebene rechtsverbindliche Regelungen herbeizuführen“, fordern der Vorstandsvorsitzende der Arbeitskammer des Saarlandes, Jörg Caspar, und der VdK-Landesvorsitzende Armin Lang in großer Übereinstimmung.
„Der größte Wunsch pflegebedürftiger Menschen ist es, zuhause versorgt zu werden. Dies ist derzeit in vielen Familien nur in einer ‚rechtlichen Grauzone‘ möglich und darf so kein Dauerzustand bleiben. Die Landes- und die Bundesregierung, erst recht die Parlamente, müssen dringend einen Rechtsrahmen schaffen, der faire, fachlich abgesicherte und auch bezahlbare Dienstleistungen ermöglicht“, fügt Jürgen Bender, Pflegebeauftragter des Saarlandes, der ebenfalls aktiv an der Ausarbeitung beteiligt war, hinzu.
„Verlässlichkeit durch standardisierte und zertifizierte Aus- und Weiterbildung sind für die Betreuungskräfte, sowie für die zu Versorgenden ein weiterer Schritt aus dieser Grauzone“, ergänzt Thomas Müller. „Die im privaten Bereich eingesetzten Betreuungspersonen brauchen im eigenen, aber auch im Interesse der von ihnen betreuten, oft sehr kranken Menschen passende Weiterbildungsangebote und vor allem professionelle Begleitung, damit sie die großen Herausforderungen dieser schweren Arbeit auch bewältigen können.“
Die Geschäftsführerin der Arbeitskammer des Saarlandes, Beatrice Zeiger, weist auf das zentrale Problem dieser Versorgungssäule hin: „Die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft (BihG) zeichnet sich durch eine stete Anwesenheit der Betreuungsperson im betroffenen Haushalt aus. Arbeits- und Ruhezeiten lassen sich so nicht streng voneinander trennen. Das führt unter den derzeitigen Regelungen zwangsläufig immer wieder zu arbeitszeitrechtlichen Verstößen“, sagt Zeiger. „Hier müssen wir uns auf den Weg machen, hin zu besseren Arbeitsbedingungen und speziellen Regelungen für diesen Bereich, um ihn erst einmal ein Stück weit aus der Grauzone herauszuholen und den Betroffenen mehr Rechtssicherheit zu geben.“
In ihrem Konzept fordern Arbeitskammer und VdK deshalb unter anderem einen Rechtsanspruch auf geregelte Arbeits- und Präsenzzeiten, echte Ruhe- und Freizeiten sowie Urlaub. Um diese Rechtsansprüche sicherzustellen, bedarf es dem Konzept zufolge immer einer Ergänzung der BihG-Versorgung durch die Familie und durch professionelle Pflegedienste, die in einem individuellen Versorgungsplan geregelt werden sollte.
Für die Vermittlungsagenturen, die sich unter anderem um den Kontakt zwischen der osteuropäischen Beschäftigungsgesellschaft der Betreuerinnen und den Einsatzfamilien in Deutschland kümmern, sowie den Ersatz bei Urlaub, Krankheit und Personalwechsel organisieren, fordert Birgit Mohns-Welsch, ehemalige Sozialdezernentin im Kreis Neunkirchen und Mitglied im sozialpolitischen Ausschuss des VdK, Qualitätsstandards. Ebenso will sie feste Regeln für die Betreuungspersonen, die über einen Grundstock an Fachkenntnissen für Notfallsituationen in der Versorgung und ein Mindestmaß an Sprachkenntnissen verfügen sollten, so dass sie sich mit den hilfebedürftigen Menschen angemessen verständigen können.
Da es für die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft derzeit keinen eigenständigen Rechtsanspruch auf Leistungen im Pflegeversicherungsrecht gibt, sondern diese Hilfe nur anteilig aus dem Pflegegeld mitfinanziert werden kann, ist sie für viele Pflegebedürftige nicht finanzierbar – jedenfalls nicht in einem rechtlich sicheren Rahmen. Daher fordern VdK und Arbeitskammer hierfür schnellstens einen Mit-Finanzierungsanspruch als Pflegesachleistung im Pflegeversicherungsrecht (SGB XI).Im ersten Arbeitsentwurf der Bundesregierung zur weiteren Reform der Pflegeversicherung heißt es derzeit, dass Pflegebedürftige eine Kostenerstattung für die Aufwendungen einer im Haushalt lebenden Betreuungsperson erhalten sollen, sofern diese Dienstleistung über eine Landesverordnung anerkannt ist. „Dass die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft durch Leistungen der Pflegeversicherung mitfinanziert werden soll, ist ein Meilenstein im deutschen Sozialrecht. Sollte der Bund, wie in dem Arbeitsentwurf vorgesehen, die Anerkennung der Leistungsangebote mittels Rechtsverordnung auf die Länder übertragen, hätte das Saarland, aufgrund der guten Vorbereitung von Arbeitskammer und VdK, eine einmalige Chance, Geschichte zu schreiben und bundesweit eine Vorreiterrolle einzunehmen“, sagt Armin Lang.
Das Konzept zum Download: BiHG-Positionen-Argumente-Forderungen.pdf
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