Mindestlohn muss endlich stärker steigen, um Niedriglohnsektor einzudämmen – Deutschland europaweit unrühmliche Ausnahme

Pressedienst vom

„Der Mindestlohn in Deutschland von derzeit 12,41 Euro ist viel zu gering. Wenn Deutschland die europäische Mindestlohnrichtlinie verbindlich anwenden würde, dann lägen wir 2024 schon bei 14 Euro! Davon würde allein im Saarland fast jedes vierte Beschäftigungsverhältnis profitieren. Die Vorgabe der europäische Mindestlohnrichtlinie zur Festsetzung des Mindestlohns muss deshalb auch in Deutschland komplett angewendet werden“, fordert Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlandes. „Bundeskanzler Scholz kann sich sogar einen Mindestlohn von 15 Euro vorstellen. Wir uns auch. Dass diese Forderung vor allem von Arbeitgeberverbänden als politische Einmischung interpretiert wird, ist dagegen absolut nicht nachvollziehbar“.

„Europaweit bildet die deutsche Mindestlohnpolitik eine unrühmliche Ausnahme,“ kritisiert Caspar. „Während 21 Mitgliedstaaten auf Grundlage der europäischen Mindestlohnrichtlinie zum ersten Januar 2024 Mindestlohnerhöhungen vollzogen haben, die nach Abzug der Inflation zu realen Einkommensverbesserungen von bis zu mehr als fünf Prozent geführt haben, kann davon bei der mickrigen Anpassung in Deutschland bei Weitem nicht die Rede sein.“

Für die Festsetzung des Mindestlohns ist in Deutschland die Mindestlohnkommission zuständig. Sie soll zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmer*innen beitragen. „Doch das funktioniert nicht. So hat die Arbeitgeberseite beim letzten Beschluss der Mindestlohnkommission keinerlei Rücksicht auf die Interessen der Beschäftigten genommen hat. Mit der Stimme der Vorsitzenden wurde die geringe Erhöhung auf lediglich 12,82 Euro ab Januar 2025 gegen das Veto der Arbeitnehmervertreter einseitig durchgedrückt. Solch ein Vorgehen entspricht nicht unserem Verständnis von Sozialpartnerschaft”, warnt Caspar. „Müsste sich die Mindestlohnkommission an die Vorgabe der europäischen Mindestlohnkommission halten, dann läge der Mindestlohn bei 60 Prozent des mittleren Einkommens. Damit wären die Beschäftigten im Land eindeutig bessergestellt – vor allem die Beschäftigten im Niedriglohnsektor.“

„Damit Arbeit sich lohnt, muss sie in erster Linie ordentlich bezahlt sein. Deshalb brauchen wir neben der Stärkung der Tarifbindung nicht nur einen armutsfesten Mindestlohn, sondern einen Mindestlohn, der so ausgestaltet ist, dass über das Einkommen der geforderte Lohnabstand zum Bürgergeld hergestellt wird. Kürzungen bei der sozialen Sicherung und Hetze gegen das Bürgergeld sind dabei der falsche Weg“, fordert Caspar.

„Wenn Niedriglohnbeschäftigte von Ihrem Einkommen aber nicht leben können und zusätzlich auf staatliche Transferleistungen angewiesen bleiben, dann ist die ganze Diskussion sowieso bloß eine Milchmädchenrechnung. Denn diese Transferleistungen müssen aus Steuergeldern finanziert werden. Damit subventionieren die Steuerzahler indirekt den Niedriglohnsektors. Und diese Steuermittel fehlen wiederum an anderer Stelle – etwa für öffentliche Investitionen – und wirken sich so langfristig negativ auf das wirtschaftliche Wachstum und den gesellschaftlichen Wohlstand aus.”

Die Arbeitskammer vertritt im Hinblick auf Niedriglohnbeschäftigung deshalb eine klare Position: „Gute Arbeit zeichnet sich durch faire Bezahlung und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten aus. Daher betonen wir besonders die Bedeutung von beruflicher Weiterbildung, denn nur qualifizierte Arbeit steigert letzten Endes die Innovationsfähigkeit und kann so zu mehr Produktivität und Wirtschaftswachstum beitragen. Niedriglohnbeschäftigung ist dagegen eine Sackgasse für die Beschäftigten und im Standortwettbewerb schädlich. Der Wettbewerb über das Einkommen geht immer zu Lasten der Beschäftigten und ist damit auch im Hinblick auf den Strukturwandel wenig nachhaltig“, so Caspar abschließend.  

Hintergrund: Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland beträgt 12,41 Euro pro Stunde. Anfang 2025 wird er auf 12,82 Euro steigen. Um in Zeiten der Inflation einen Mindestschutz zu gewährleisten, müsste der Mindestlohn mindestens bei 14 Euro liegen. An der Saar würde davon nahezu jedes vierte Beschäftigungsverhältnis (24 %) profitieren, bei Frauen sogar mehr als drei von zehn (31 %), weil sie deutlich häufiger in niedriger entlohnten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.

Im Saarland liegt der Niedriglohnsektor bei 18,5 % der (Vollzeit)Beschäftigten unterhalb der Niedriglohnschwelle von zwei Dritteln des Medianeinkommens – deutlich mehr als dies mit 16,4 % in Westdeutschland der Fall ist. Und: Niedriglohnbeschäftigten müssen ihr Einkommen häufig aufstocken, d. h. die Beschäftigten sind neben ihrem Erwerbseinkommen auf zusätzlich staatliche Transferleistungen angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Der gesetzliche Mindestlohn soll aber gerade vor Dumpinglöhnen und Ausbeutung schützen und einen Mindestschutz der Beschäftigten gewährleisten. Er ist die absolute Untergrenze für die Bezahlung von Arbeit in Deutschland. Wenn kein höherer Lohn vereinbart ist, zum Beispiel durch einen Tarifvertrag oder Branchentarifvertrag, gilt der gesetzliche Mindestlohn für alle Beschäftigten in Deutschland, mit ganz wenigen Ausnahmen.  

zurück zurück