Die digitale und ökologische Transformation hat begonnen. Wir hier im Saarland gehören zu den am stärksten und als erstes betroffenen Regionen. Hier trifft in geballter Form struktureller Wandel auf die aktuelle konjunkturelle Abschwächung. Das Saarland hat aber gleichwohl die Chance, zu den Gewinnern der Transformation zu zählen. „Wir unterstützen daher die Forderung der Politik nach einer „Modellregion Wasserstoff“. Außerdem braucht es eine echte Weiterbildungsoffensive, damit im Zuge des technologischen Wandels die Beschäftigten im Land mitgenommen werden und niemand auf der Strecke bleibt“, fordert Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlands.
Die saarländische Industrie ist und bleibt das Rückgrat des Saarlandes. Der Strukturwandel ist ein technologischer Wandel, getrieben von einer wichtigen und notwendigen Debatte um den Klimawandel und seine Folgen. „Die De-Karbonisierungsstrategie der EU ist aus Umweltsicht nachvollziehbar. Aus unserer Sicht können die Lösungen aber nicht in einem Export der Umweltbelastungen in andere Länder liegen“, betont Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer. Sie müssen vielmehr in nachhaltigen Ansätzen hier vor Ort gefunden werden. „Stahl und Automotive müssen dabei nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung verstanden werden“, sagt Caspar. „Dazu fordern wir zu allererst eine echte Technologie-Offenheit in Bezug auf die von der Politik bereitgestellten und bereitzustellenden Förderprogramme“, so Caspar. Die Fokussierung auf eine Technologie alleine wird nicht ausreichen, um Klimaneutralität zu erreichen und gleichzeitig Beschäftigung zu sichern.
Klar ist auch: Das Saarland wird kaum Gewinner bei Batterieautos sein. „Die Forderung der Politik nach einer „Modellregion Wasserstoff“ ist ein ernstzunehmender Lösungsansatz, den wir als Arbeitskammer ausdrücklich unterstützen“, so Caspar weiter. Hier vor Ort kann Wasserstoff direkt in der Brennstoffzelle und als Reduktionsmittel bei der Roheisenproduktion genutzt werden. Die im Saarland stark ausgeprägte Wertschöpfungskette beim Antriebsstrang im Automobilbau kann im Grunde erhalten und sogar gestärkt werden. Und auch Stahl wird weiter wichtig in der industriellen Wertschöpfungskette bleiben: als Vorprodukt vieler für den Klimawandel wichtiger Produkte wie z.B. in der Windkraft oder im hochfesten Leichtbau. „Unsere Unternehmen bieten hoch innovative Produkte, mit denen die Industrie von der Energie-/Klimawende profitieren kann“, sagt Thomas Otto. Das Saarland muss Vorreiter grüner Industrie werden. Damit entstehen auch Chancen für einen späteren Technologie-Export.
Um Beschäftigten und Unternehmen mehr Sicherheit zu geben, muss die Landesregierung jetzt schnell und entschlossen handeln. Sie muss Zielsetzung und Fördermöglichkeiten klar kommunizieren, Alleinstellungsmerkmale identifizieren und fördern, um Anknüpfungspunkte für die Förderung von Bund und EU zu bieten. „Dazu gehört auch, dass das Land neben den Leuchttürmen Helmholtz und Cispa die anwendungsorientierter Forschung stärker in den Fokus nimmt, die direktere Beschäftigungseffekte erwarten lässt und unmittelbar an bereits vorhandenen Kompetenzen der Beschäftigten im Saarland anknüpft“, so Otto weiter. „Denn Standortentscheidungen von Unternehmen hängen davon ab, welche Konzepte in den Regionen entwickelt werden.“
Das mit dem ökologisch wichtigen, technologischen Umbau verbundene sehr hohe Investitionsvolumen ist von den Unternehmen selbst nicht zu stemmen, daher sind erhebliche Strukturmaßnahmen nötig. „Die Industrie beginnt die Weichen zu stellen, dies muss Politik jetzt massiv unterstützen“, betont Jörg Caspar.
Erste Projekte laufen bereits: Das Saarland hat einen Zuschlag im Bundesprogramm HyExperts erhalten. Dadurch bekommt das Land Fördermittel für Beratungs- und Planungsleistung zur weiteren Ausarbeitung eines Wasserstoff-Konzepts. Außerdem soll in Fenne Wasserstoff produziert werden. Doch das reicht bei weitem nicht aus. „Wir sprechen hier nicht von Millionen sondern von Milliarden Euro Förderbedarf. Landesregierung und Bundesregierung müssen sich dafür stark machen, dass das Saarland Teil des von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen angekündigten Green Deals wird“, fordert Jörg Caspar.
Durch die hohe Abhängigkeit von Automobil- und Stahlindustrie hat das Saarland einen besonderen Förderungsbedarf. Dieser muss auch im Bund und in der EU endlich ernst genommen werden. Es geht darum, dass eine Region und ihre Bewohnerinnen und Bewohner für die Zukunft aufgestellt und nicht vergessen werden. Derzeit wird das Saarland aber klar benachteiligt. „Deshalb fordern wir vom Bund, das Fördersystem auf die Möglichkeiten struktur- und finanzschwacher Regionen auszurichten und damit überhaupt erst einen möglichen Aufholprozess zum Laufen zu bringen“, fordert Thomas Otto. Die aktuellen Anforderungen an Kofinanzierung erschweren die Beantragung von Fördermitteln für finanzschwache Bundesländer und Kommunen. In der Folge werden die Fördermittel häufig nicht vollständig abgerufen und fließen wieder zurück an den Bund, von dem sie dann verteilt werden an Länder und Regionen, die Projektvorschläge in der Schublade haben und kurzfristig umsetzen können.
Bei EU-Strukturfonds, die eine wichtige Finanzquelle für die Regionalentwicklung im Saarland darstellen, hat die EU-Kommission sogar eine Absenkung des Finanzierungsanteils der EU von 50 auf 40 % für die kommende Förderperiode vorgeschlagen. Das würde die Projektierung im Saarland massiv erschweren. „Das Saarland muss als besondere Förderregion bei der Verteilung der EFRE-Mittel für die nächsten Förderperioden anerkannt werden. Hierfür muss sich die Landesregierung in den Verhandlungsprozessen mit Bund und Ländern entsprechend einsetzen“, fordert Otto. Und im Bund muss anerkannt werden, dass das Saarland unter den sogenannten „stärker entwickelten Regionen“ in Deutschland zu denjenigen mit dem größten Förderbedarf gehört.
Das Saarland braucht Investitionsmittel in erheblichem Ausmaß. „Grundsätzlich ist deshalb auch eine Abkehr von der Schuldenbremse notwendig. Investitionen in die Zukunft dürfen nicht durch ein falsches Verständnis von Sparen verhindert werden“, betont Otto.
Das Land muss außerdem eine Weiterbildungsoffensive initiieren. Es gilt, massiv in Weiterbildung der Arbeitnehmer zu investieren und die Qualität der Beschäftigung zu erhöhen. „Weiterbildung ist ein entscheidender Schlüssel, um die Transformation aktiv und im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. Sie eröffnet Chancen und bietet Schutz“, erläutert Thomas Otto. Das Saarland liefert hier allerdings nicht die besten Zahlen: Anteil der an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmenden Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren: Saarland 7,9 %, Deutschland 8,3 %, EU-Durchschnitt 11,1%, EU-Ziel 2010 12,5 %, EU-Ziel 2020 15,0 %.
„Dazu beobachten wir eine starke soziale Spaltung beim Zugang zu Weiterbildung. Führungskräfte nehmen häufiger als ungelernte an Weiterbildung teil, Erwerbstätige häufiger als Erwerbslose und Junge häufiger als Ältere. Wer geringfügig oder prekär beschäftigt ist, keine guten Schulabschluss oder keinen Berufsabschluss hat, bekommt auch später deutlich weniger die Chance zur Weiterbildung. In Zeiten von Fachkräftemangel und zunehmender Automatisierung von Einfacharbeitsplätzen ist es eine zentrale Herausforderung, diese Teilnahme zu steigern“, so Otto. „Deshalb fordern wir ein individuelles Recht auf einen ersten Berufsabschluss und auf berufliche Weiterbildung. Jeder und jede hat ein Recht auf Qualifizierung – insbesondere in Zeiten technologischer Umbrüche.“ Um eine zukunftsorientierte Weiterbildungskultur zu etablieren, haben die vier Arbeitskammern Österreich, Luxemburg, Bremen und Saarland ein gemeinsames Positionspapier unter dem Titel „Gut ausbilden, Weiterbildung stärken, die Zukunft gestalten: Für ein Recht auf berufliche Weiterbildung!" vorgelegt.
Um Beschäftigte im Strukturwandel besser vor Jobverlust zu schützen, fordert die Arbeitskammer zudem, Kurzarbeit zu erleichtern und mit Qualifizierung zu verknüpfen. „Wir brauchen auch ein Transformations-Kurzarbeitergeld zur Beschäftigungssicherung und Qualifizierung. Und wir fordern ein Qualifizierungs- und Weiterbildungsgeld, das Anstrengungen für Arbeitslose attraktiver macht. Das ist sinnvoller als das heute bestehende zum Teil existenzbedrohend wirkende Sanktionsregime“, fordert Jörg Caspar.
Das Saarland ist bei der Umsetzung der Förderung „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ Spitzenreiter der Bundesländer. Alle Jobcenter im Saarland haben die Möglichkeiten des Teilhabechancengesetzes genutzt und dafür auch die Mittel des Passiv-Aktiv-Transfers ausgeschöpft. Da die Fördermittel je Jobcenter gedeckelt sind, fordert die Arbeitskammer eine stärkere Flexibilität bei der Vergabe der Fördermittel. So sollten nicht abgerufene Mittel einzelner Jobcenter auf andere übertragen werden können. Zumindest die Deckelung beim Passiv-Aktiv-Tausch muss aufgehoben und das Teilhabechancengesetz über 2024 hinaus unbefristet angewendet werden.
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