Zu wenig oder gar kein gezahlter Lohn, unrechtmäßige Kündigung, untergeschobene Aufhebungsverträge – das sind die häufigsten Themen der Beratungsstelle Faire Integration für Menschen mit Fluchthintergrund und Drittstaatler. Seit sechs Jahren sind die Mitarbeiter*innen der Arbeitskammer im Saarland unterwegs. Über 2.200 individuelle Beratungen im Arbeits- und Sozialrecht haben sie geleistet – auf Russisch, Arabisch, Serbokroatisch, Englisch und Deutsch. Hinzu kommen knapp 700 Teilnehmer von Sprachkursen, die über die Rechte in der Erwerbsarbeit aufgeklärt wurden, sowie rund 1.500 Kontakte bei Infoaktionen. „Indem wir Geflüchtete vor Ausbeutung bewahren, schützen wir auch den deutschen Arbeitsmarkt und unseren Rechtsstaat“, ist Egbert Ulrich, Leiter der Beratungsstelle, überzeugt.
Die Bundesfachstelle Faire Integration unterstützt und koordiniert die 26 Beratungsstellen im gesamten Bundesgebiet. Die Themen, die beraten werden, sind überall ähnlich, schildert Jens Nieth, Leiter des Bundesfachstelle Faire Integration. Es geht vor allem um Kündigung, Entlohnung und Arbeitsverträge. Der Bedarf an Beratungen ist enorm – Tendenz steigend.
Allein 2023 wurden bundesweit 13.288 Beratungen durchgeführt. Die meisten Ratsuchenden kamen aus Syrien, der Ukraine, Afghanistan, der Türkei und dem Irak. Sie arbeiteten am häufigsten in den Branchen Verkehr und Lager/Logistik, im Hotel- und Gaststättengewerbe und dem Dienstleistungssektor. Etwa ein Drittel aller Ratsuchenden kam allein aus diesen Branchen. Nieth ist überzeugt: „Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird sich der Schwerpunkt nochmal verschieben – vor allem, was Drittstaaten angeht. Die Bedeutung von Türkisch, der spanischen Sprachfamilie sowie asiatischen Sprachen wird steigen. Und die schiere Menge der Menschen, die Beratungsbedarf haben, wird einfach mehr werden.“
Steigenden Beratungsbedarf gibt es auch im Saarland. Und die Fälle werden komplexer. „Die Menschen erfahren über Mund-zu-Mund-Propaganda von uns. Wir begleiten die Leute, bei dem was sie brauchen. Das reicht von individueller Beratung und Begleitung bis zur Durchsetzung von Forderungen. Aber wir sind auch präventiv unterwegs, v.a. in Sprachkursen, wo wir über Arbeiten in Deutschland informieren, und bei Werktor-Aktionen - meist gemeinsam mit den Gewerkschaften“, erläutert Egbert Ulrich. So waren die Berater*innen mit der Gewerkschaft NGG in Sachen Schokolade und Fleischindustrie unterwegs, mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bei Kurierdiensten und auf LKW-Raststätten, mit der IGBAU auf Baustellen, in Sachen Glasfaser und im Reinigungsgewerbe.
Mit Russisch, Arabisch und Serbokroatisch sehen sich die Berater*innen im Saarland derzeit gut aufgestellt. „Durch die enge Zusammenarbeit mit unserer Beratungsstelle für Wanderarbeit und mobile Beschäftigte, die vornehmlich auf Polnisch, Rumänisch, Bulgarisch und Ungarisch beraten, können wir auf großes Sprachpotential zurückgreifen“, sagt Egbert Ulrich.
Das Schwierigste an der Arbeit sei, die Betroffenen dazu zu bekommen, überhaupt zu klagen. „Das hat kulturelle Gründe und liegt bei Geflüchteten vor allem am Aufenthaltsstatus. Der ist oft verknüpft mit einem Arbeitsvertrag. Da haben die Leute natürlich Angst, den Arbeitgeber zu verlieren – und sei er auch noch so schlecht und ausbeuterisch“, berichtet Beraterin Elina Schilo-Stumpf. Wie schwierig der Weg zum Recht ist und wie komplex die Fälle oft sind, zeigen zwei Beispiele aus der saarländischen Beratungspraxis (siehe Ende PM).
Die Berater*innen verhelfen den Betroffenen aber nicht nur zu ihrem Recht, sondern leisten mit ihrer Arbeit auch einen wichtigen Beitrag zur Integration. Jens Nieth, Leiter des Bundesfachstelle Faire Integration: „Es geht auch darum, zu erklären, wie unser Sozialsystem und unser Sozialstaat funktionieren. Wozu haben wir Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und wie profitieren die Menschen davon. Das trägt enorm zum Verständnis über das Leben in Deutschland bei und schützt die Menschen vor Ausbeutung.“ Und Beraterin Elina Schilo-Stumpf ist überzeugt: „Die Menschen, die hierherkommen, um zu arbeiten, vertrauen auf den Rechtsstaat und sind danach verzweifelt und fallen aus allen Wolken, wenn das nicht so ist. Dass Rechte, die existieren, auch durchgesetzt werden, ist enorm wichtig für die Integration. Wir zeigen, dass das hier möglich ist.“
Fallbeispiel 1
Die Beraterin Elina Schilo-Stumpf ist derzeit u.a. mit dem Fall zweier Ratsuchender beschäftigt, die als Fliesenleger auf dem Bau arbeiten. Der Fall kam durch einen Mann aus der Ukraine ins Rollen, der Mitte April in der Beratungsstelle war. Er hatte den Monatslohn vom März nicht bekommen und berichtete von einem anderen Mitarbeiter (Kurde), der schon länger auf der Baustelle war und seit Februar kein Gehalt bekommen hat. Die Männer haben außerdem über einen Brief ihrer Krankenkasse erfahren, dass der Arbeitgeber keine Krankenkassenbeiträge gezahlt hat. Er hatte für sie auch keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet, wie sich dann herausstellte – es handelte sich also um Schwarzarbeit. Beide Mitarbeiter haben Klage eingereicht. In einem Fall wurden dem Arbeitnehmer bei der Güteverhandlung 8.000 Euro zugesprochen. Der Arbeitgeber muss außerdem Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Das zweite Verfahren läuft noch. „Damit ist das Problem aber nicht gelöst. Die Menschen kommen danach noch mehrmals in die Beratung. Mit der Krankenkasse müssen die Beitragsnachzahlungen geklärt werden, die Soka (Sozialkasse) Bau hat noch Forderungen und auch beim Zoll bleiben offene Fragen. Die Männer müssen nämlich deutlich machen, dass sie von der Schwarzarbeit nicht wussten und sofort tätig wurden, als sie davon erfahren haben. Denn Schwarzarbeit wird bestraft.“
Fallbeispiel 2
Weniger gut sieht es für einen syrischen Paketzusteller aus. Er war bei einem Subunternehmer beschäftigt, der ihm zwei Monatslöhne und sämtliche geleistete Überstunden (260) nicht gezahlt hat. Außerdem wurde im ersten Beschäftigungsjahr kein Urlaub gewährt. Nachdem er seinen Arbeitgeber eine Zahlungsaufforderung geschickt hat, haben sich seine Arbeitsbedingungen extrem verschlechtert. Ihm wurden sämtliche schwere Pakete zugeordnet in enormen Mengen und er wurde stark unter Druck gesetzt. In der Folge erlitt er einen Arbeitsunfall und ist seit mehreren Wochen nicht mehr arbeitsfähig. „Wir haben ein Teil-Versäumnisurteil erwirken können und ihm wurden insgesamt 5.900 Euro zugesprochen“, erläutert Berater Saleh Muzayek. „Allerdings ist der Arbeitgeber jetzt insolvent. Der Mann wird sein Geld also nicht bekommen. Leider auch kein Insolvenzgeld, keine Auszahlung der Überstunden und keine Urlaubsabgeltung. Und da der Arbeitgeber den Arbeitsunfall auch nicht der Berufsgenossenschaft gemeldet hat, wurde der Unfall nicht anerkannt und der Mann bekommt kein Krankengeld. Außerdem ist sein Aufenthaltstitel an den Job gebunden war“. Immerhin konnten die Berater*innen Arbeitslosengeld für ihn erstreiten. Die angehäuften Schulden für Miete und Unterhalt (der Mann hat Frau und 2 Kinder) aber bleiben.
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