Steigende Pflegebeiträge, horrende Eigenanteile in der Heimpflege und eine ungleiche Belastung von gesetzlich und privat Versicherten – in der Finanzierung der Pflegeversicherung besteht dringender Handlungsbedarf. „Die neue Bundesregierung muss nach der Wahl unverzüglich für eine finanzielle Stabilisierung der sozialen Pflegeversicherung sorgen. Die Übernahme versicherungsfremder Leistungen durch den Bund würde die Pflegeversicherung und damit auch die Beschäftigten enorm entlasten“, erklärt Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes. Eine langfristige Stabilisierung der Pflegeversicherung gelingt aber nur mit einer breiteren Finanzierungsbasis und einer gerechteren Lastenverteilung. „Nur eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle Bürger*innen einzahlen, kann eine gute und finanzierbare Pflege für alle dauerhaft gewährleisten“, so Otto.
Die Pflegeversicherung steht vor einem doppelten Finanzierungsproblem. Zum einen steigen die Eigenanteile rapide an, die Pflegebedürftige für die Heimpflege aufbringen müssen. Im Saarland lag der gesamte Eigenanteil im Juli 2024 bei fast 3170 Euro pro Monat und damit deutlich über dem Bundesschnitt. Zum anderen leidet die gesetzliche Pflegeversicherung unter einer strukturellen Einnahmeschwäche, weil bisher nur Arbeitseinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze zur Finanzierung herangezogen werden. Das Ergebnis sind stetig steigende Pflegebeiträge, zuletzt auf 4,2 Prozent für Kinderlose und 3,35 Prozent für Versicherte mit zwei Kindern.
Die Lasten sind im bestehenden System zudem nicht gerecht auf alle Schultern verteilt. Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Pflegeversicherung sorgt dafür, dass auf höhere Arbeitseinkommen keine Beiträge geleistet werden müssen. Außerdem sind die Lasten zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung sehr ungleich verteilt, weil die Privatversicherten im Schnitt jünger und gesünder sind als die gesetzlich Versicherten, die zudem im Schnitt über ein geringeres Einkommen verfügen. Die Versicherungsunternehmen machen daher Gewinne mit den „guten Risiken“, während die soziale Pflegeversicherung die hohen Kosten der „schlechten Risiken“ schultern muss.
Zur Lösung des akuten Finanzierungsproblems der gesetzlichen Pflegeversicherung muss die kommende Bundesregierung dafür sorgen, dass versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für Pflegepersonen über einen Bundeszuschuss abgedeckt werden. Laut jüngsten Berechnungen des Sozialverbandes VdK belaufen sich die versicherungsfremden Leistungen auf 9,2 Milliarden Euro pro Jahr. Das sind etwa 15 Prozent der Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung. „Die Übernahme dieser gesamtgesellschaftlichen Kosten durch den Bund würde die Beitragszahler*innen kontinuierlich um fast einen halben Prozentpunkt entlasten“, erklärt Otto.
Während der Corona-Pandemie wurden zudem etwa 10 Milliarden Euro aus der Pflegeversicherung entnommen, um Coronatests in Pflegeheimen und den Pflege-Bonus für Pflegekräfte zu finanzieren. 6 Milliarden dieser zweckentfremdeten Mittel wurden bis heute nicht an die Pflegeversicherung zurückgezahlt – auch dieses Versäumnis sollte die kommende Bundesregierung beheben.
Um die Pflegeversicherung dauerhaft zu stabilisieren, ist allerdings der schrittweise Umbau zu einer solidarischen Bürgerversicherung notwendig, die die gesamte Bevölkerung und alle Einkommensarten umfasst. Die damit verbundene Verbreiterung der Finanzierungsbasis kann genutzt werden, um die Pflegeversicherung langfristig zu einer Vollversicherung umzubauen, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt. Auf dem Weg dorthin lassen sich die Eigenanteile in der stationären Pflege durch Maßnahmen wie einen Strukturausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung senken. Durch den Strukturausgleich wird die ungerechte Verteilung von „guten“ und „schlechten Risiken“ beendet, wodurch der sozialen Pflegeversicherung mehr Mittel zur Finanzierung von Pflegeleistungen zur Verfügung stehen. Das mittelfristige Ziel derartiger Änderungen besteht darin, die Eigenanteile zu deckeln: Man zahlt nur noch einen festen Betrag pro Monat, und das auch nur für eine gewisse Zeit, alles darüber und danach übernimmt die Versicherung.
Die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung entspricht auch den Wünschen der Bürger*innen. Laut unserem SozialstaatsRadar 2025 unterstützt eine klare Mehrheit von 56 Prozent eine Bürgerversicherung, während weniger als ein Drittel ein gegliedertes Modell wie das bestehende System aus privater und gesetzlicher Pflegeversicherung bevorzugt. In anderen Umfragen fällt das Votum für die Bürgerversicherung zum Teil noch klarer aus.
Die Ungerechtigkeit des bestehenden Systems wird aber auch an einem weiteren Ergebnis des SozialstaatsRadars deutlich: Während sich 45 Prozent der Privatversicherten gut für den Fall der Pflegebedürftigkeit abgesichert fühlen, sind es unter den gesetzlich Versicherten nur knapp 20 Prozent. „Das bestehende System hat nicht nur ein Finanzierungs- und Akzeptanzproblem, es leidet auch unter einem massiven Gerechtigkeitsdefizit. Die solidarische Bürgerversicherung stellt die richtige Antwort auf diese Probleme dar”, so Otto abschließend.
Hintergrund: Sozialstaatsradar von DGB und Arbeitnehmerkammer Bremen und Arbeitskammer des Saarlandes: Im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sowie der Arbeitnehmerkammer Bremen und der Arbeitskammer des Saarlandes hat das uzbonn vom 25. November bis zum 10. Dezember 2024 anhand einer systematischen Quotenstichprobe grundlegende Positionen zum Sozialstaat und zu den Themen Gesundheit, Pflege und Rente erhoben. Insgesamt wurden 3.000 Personen der Wohnbevölkerung in Deutschland im Alter ab 18 Jahren per Online-Interview befragt und die Ergebnisse so gewichtet, dass die Resultate die tatsächliche Verteilung – etwa nach Alter, Geschlecht oder Region – repräsentieren.
Zentrale Umfrage-Ergebnisse des SozialstaatsRadar 2025 finden Sie hier:
https://www.arbeitskammer.de/sozialstaatsradar