Gleichstellung muss ein zentrales Thema der Transformationsstrategie des Landes sein. Das zeigt der jetzt von der Arbeitskammer veröffentlichte Bericht an die Regierung des Saarlandes 2023 mit dem Schwerpunktthema „Zukunftsfragen einer modernen Arbeitswelt“. Dabei geht es in moderner Gleichstellungspolitik nicht nur darum, Frauen zu unterstützen, sondern den Blick auf beide Geschlechter zu weiten und dafür zu sorgen, dass die Chancen und Zuständigkeiten besser und gerechter verteilt werden. „Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, wenn die Landesregierung ihren eingeschlagenen Weg hin zu einer abgestimmten Landesgleichstellungsstrategie weiter vorangeht. Mit einer solchen Strategie, wie es sie im Bund und verschiedenen Ländern schon gibt, wird Gleichstellung in allen Handlungsfeldern definierbar, mess- und überprüfbar und erlangt im Laufe der Zeit einen noch höheren Stellenwert“, sagt Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlandes. Und: Gezielte Gleichstellungsstrategien auf allen Ebenen geben auch kluge Antworten auf viele Herausforderungen des Strukturwandels.
Neben den Beschäftigungsverlusten der letzten Jahre und den zu erwartenden Umstrukturierungen im industriellen Bereich, werden „frauenspezifische“ Branchen und Berufsfelder im Dienstleistungssektor in ihrem Beschäftigungsumfang zukünftig noch stärker an Bedeutung gewinnen (Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen 2008-2022: +36,6 %, Verarbeitendes Gewerbe: -10,2 % bei einer Gesamtentwicklung von: +10,8 %). Dies liegt einerseits an der permanenten Veränderung der Berufsbilder und der Tätigkeiten (Stichwort: Digitalisierung) andererseits an der demografischen Entwicklung und des damit verbundenen absehbaren Wachstums des Pflegebereichs.
Der Wachstumsmarkt Dienstleistungen bietet bislang in vielen gerade frauentypischen sozialen Bereichen aber häufig schlechtere Beschäftigung. In Zeiten des wachsenden Fachkräftebedarfs und der steigenden Erwartungen jüngerer Menschen an ihre Beschäftigungsverhältnisse müssen diese Bereiche dringend aufgewertet werden. Dies ist nicht nur ein Beitrag, um genügend Arbeitskräfte zu gewinnen, sondern bewirkt auch eine bessere Gleichstellung der Geschlechter in diesem Marktbereich. „Neben allen anderen Strategien im Strukturwandel brauchen wir eine aktive Dienstleistungspolitik, mit der die Aufwertung dieser Branchen angegangen werden kann. Das bedeutet zum Beispiel überall dort, wo die öffentliche Hand Arbeitgeber ist, soziale Dienstleistungsberufe u.a. angemessen zu entlohnen. Oder zum Beispiel mit dem Instrument der Wirtschaftsförderung gerade in privaten Dienstleistungsbranchen gute Arbeitsbedingungen zu honorieren. So sollten Kriterien wie das Vorhandensein von Tarifverträgen, betriebliche Mitbestimmung, Frauenförderpläne oder familienfreundliche Arbeitszeitmodelle besonders gefördert werden“, so Caspar.
Und es gilt, das komplette Potenzial an Erwerbspersonen auszuschöpfen – wegen des Fachkräftemangels und im Sinne einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen im Saarland ist wie im gesamten Bundesgebiet in der Vergangenheit deutlich angestiegen (Erwerbsquote: 2021: 73,1 %, im Bundesdurchschnitt: 74,6 %). Das Saarland konnte sich dabei von seinem letzten Platz innerhalb des Rankings klar verbessern (mittlerweile: Platz 12 unter den Bundesländern). Nach wie vor aber gibt es deutliche Rückstände zu den Erwerbsquoten der Männer (81,1% im Saarland) oder auch zu denen in anderen Ländern z.B. in Skandinavien.
Die Analysen zeigen auch einen Aufholbedarf vor allem in den Gruppen der Frauen mit Kindern und bei den Migrantinnen „Gerade unter Migrantinnen gibt es ein großes nicht ausgeschöpftes Qualifikationspotential, das durch gezielte Fördermaßnahmen erschlossen werden muss. Auch ist es für Migrantinnen häufig besonders schwer eine Kita-Platz zu erhalten, womit nicht nur die weibliche Erwerbstätigkeit ausgebremst wird, sondern auch die gesellschaftliche und berufliche Integration der nachwachsenden Generationen behindert wird. Auch hier besteht Handlungsbedarf“, so Caspar.
Die AK definiert eine ganze Reihe weiterer Handlungsfelder in ihrem Bericht. Es beginnt damit, dass Gleichstellung ein erklärtes wichtiges Ziel im Grundgesetz ist, in den betroffenen Rechtsbereichen bisher aber nur mit Abstrichen diesem Anspruch genügt. Häufig widersprechen sich einzelne Rechtsbereiche, in dem zum Beispiel eine eigenständige Absicherung von Frauen und Müttern nach einer Scheidung selbstverständlich erwartet wird, zuvor aber durch das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung der Ehefrau mit Kindern andere Anreize gesetzt wurden. Hier zeigt der Bericht die offenen Stellen auf und mahnt Verbesserungen vor allem auf Bundesebene an. „Insbesondere das Ehegattensplittung gehört endlich zu Gunsten einer Individualbesteuerung abgeschafft“, fordert Caspar.
Zentral ist auch die Regelung der Arbeitszeiten: Als Maßstab für alle möglichen Sozialleistungen und für die Rente gilt ein Normalarbeitsverhältnis in Vollzeit. Das passt aber schlecht zu einem gleichstellungsorientierten Modell. Um Arbeitszeit besser zu verteilen, muss daher die anstehende Sorgearbeit (Care-Arbeit) in Haushalt und Familie besser aufgeteilt werden. Der bisher zu beobachtende sogenannte Care-Gap darf nicht weiter zu Lasten der Frauen bestehen bleiben (derzeit: +51%), sondern muss neben gesellschaftspolitischen Debatten auch durch eine Veränderung der Normarbeitszeiten bewegt werden. „Wir begrüßen dabei die aktuelle Debatte um eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, sehen aber auch die damit verbundenen Schwierigkeiten und plädieren daher im ersten Schritt für mehr Wahlarbeitszeiten für die Beschäftigten je nach Ausgangslage und Bedarfen“, sagt Caspar.
Eng mit dieser Frage zusammen hängt die Betreuungsinfrastruktur. Im Bereich der Kinderbetreuung hat sich vieles verbessert – in der aktuellen Situation aber droht der hohe Qualitätsanspruch in den Einrichtungen unter die Räder des Personalmangels zu geraten. „Hier müssen die Bemühungen um Gewinnung und Halten der Fachkräfte dringend noch intensiviert werden – beispielsweise durch bessere Ausbildungsbedingungen und höhere Bezahlung“, so Caspar.
Noch völlig ungeklärt ist die Frage, wer in Zukunft die Pflege für die zunehmende Zahl der älter werdenden Bevölkerung übernimmt und unter welchen Bedingungen – vor allem wenn gerade Frauen, die den Großteil der häuslichen Pflegearbeit übernehmen, noch stärker in die Erwerbstätigkeit gehen. Die AK dringt deshalb auf Veränderungen auch im häuslichen Bereich der Pflege. „Ein erster Schritt wäre es, Versorgungsprobleme in der häuslichen und ambulanten Pflege systematisch zu evaluieren, Standards etwa für Personalschlüssel zu definieren und diese in einem Infrastrukturbericht festzulegen. Das ist ein Auftrag an Land und Bund. Und das wäre ein wichtiger Beitrag, um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu verbessern“, sagt Caspar.
Insgesamt zeigt die Analyse des Arbeitsmarkts eine hohe Dynamik gerade für Frauen. Ihre Zahl unter den Beschäftigten ist beeindruckend angestiegen. Jedoch gibt es viele qualitative Probleme: Der Anstieg fand vor allem in Teilzeit statt. Jede dritte Frau ist prekär beschäftigt und beinahe jede dritte Frau in Vollzeit verdient lediglich im Bereich des Niedriglohns! Dies alles ist weit weg von einer echten Gleichstellung im Erwerbsleben. „Insbesondere Minijobs müssen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt werden“, so Caspar.
Im AK-Jahresbericht wird auch deutlich, wie viel Arbeitszeit- aber auch Qualifikationspotenzial im Erwerbsverlauf von Frauen verloren geht – vor allem, da es häufig nicht mehr gelingt, nach Unterbrechungen adäquat in das Berufsleben zurückzukommen. Hinzu kommt der generelle Gender Pay Gap von rund 18 Prozent und die insgesamt schlechter bezahlten Dienstleistungen, die am Ende für Frauen im Saarland zu einem überdurchschnittlichen Armutsrisiko führen.
Auf betrieblicher Ebene hat sich in jüngster Zeit vieles getan in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Nichtsdestotrotz zeigen die Erfahrungen der AK, dass es noch etliche Bereiche gibt, in denen Familienfreundlichkeit (auch für männliche Beschäftigte) noch nicht angekommen ist. Hieran muss noch weitergearbeitet werden, damit nicht weiterhin mehr als ein Drittel der Beschäftigten zwischen 26 und 45 Jahren mit den Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf eher unzufrieden ist (vorläufiges Ergebnis der AK Beschäftigtenbefragung 2023, die gerade in der Auswertung ist).
Der Jahresbericht zeigt außerdem, dass Gendersensibilität entlang der kompletten Bildungskette (Kita, Schule, Ausbildung, Hochschulen) noch ausbaufähig ist. Vor dem Ziel der ausgewogenen Verhältnisse auch bei der Berufs- und Studienwahl gibt es noch viele offene Baustellen. „Daher braucht es mehr und bessere Sensibilisierungsmaßnahmen in der gesamten Bildungskette für diesen Bereich“, so Caspar abschließend.
Den Jahresbericht 2023 bieten wir Ihnen hier auch zum Download oder Online-Lesen an:
Bericht 2023: "Zukunftsfragen einer modernen Arbeitswelt"